Lägreid schaffte es vor drei Saisons sprunghaft zum Erfolg. Nach zwei Silbermedaillen bei den IBU Juniorenweltmeisterschaften 2018 verschwand er krankheitsbedingt von der Bildfläche, bevor er praktisch aus dem Nichts zurückkehrte und bei den IBU OEM 2020 Silber im Sprint gewann. Damit sicherte er sich das Ticket für die zwei letzten BMW IBU Weltcups, wo er 60 Schuss abgab und nur einmal verfehlte. Der nächste Schritt war der in die norwegische Nationalmannschaft, für die er in den letzten drei Saisons 32mal in Einzelrennen auf dem Podest stand, darunter 10 Siege, 10 Medaillen bei IBU Weltmeisterschaften (5 Gold), eine Trefferquote von unglaublichen 90 % verbuchte und jedes Jahr Zweiter in der Gesamtwertung wurde.
Im Interview vor einigen Wochen erklärte er, dass zweite Plätze gleichermaßen erfreulich und frustrierend sind. „Meine erste Saison war meine beste Chance (zu gewinnen). Es war meine erste Saison, und ich war überglücklich, schon so gut zu sein. Das Olympia-Jahr war hart, und in der letzten Saison hat Johannes (Thingnes Bö) alles dominiert, sodass mehr als ein zweiter Platz nicht drin war. Drei ganz unterschiedliche Saisons und immer Zweiter. Ich bin unglaublich stolz. Ich bin sehr stabil unterwegs, nicht der Beste auf den Skiern, aber mit sehr gutem Schießen bin ich immer einen Schritt voraus. Ich muss meine Stärken weiter ausbauen und an meinen Schwächen arbeiten.“
Über seinen größten Rivalen/Mannschaftskameraden sagt er: „Der rein physische Aspekt ist sein größtes Talent. Sein Körper ist einfach dafür gemacht, schnell Ski zu laufen. ... Er ist unglaublich auf der Strecke. ... Man hat sich fast mit der Tatsache abgefunden, dass er Fehler machen muss, damit man ihn besiegen kann. Jetzt hat er das Schießen in den Griff bekommen, damit ist er praktisch unschlagbar. Man will nicht der Athlet sein, der auf Fehler der anderen angewiesen ist. Man will der Athlet sein, der Gold holt, weil er alles richtig macht, und nicht, weil er rennt, was das Zeug hält und betet, dass er dann die Scheiben noch trifft.“
Lägreid gesteht ein, dass man, wenn man wie Avis Nummer 2 ist, „sich noch mehr anstrengen muss, um Nummer 1 zu werden. Wenn man der Beste ist, vergisst man vielleicht schneller mal, hart zu arbeiten und achtet nicht so auf die Details. Ich bin der Zweitplatzierte mit vielen Jungs hinter mir, aber einem vor mir. Das treibt mich an, mich weiter zu verbessern und diesen letzten Schritt zu gehen. Eigentlich ist das eine gute Ausgangslage. Das zeigt einem, dass man schon gute Arbeit leistet, aber sich eben noch ein bisschen strecken muss, um Goldmedaillen zu holen und Rennen zu gewinnen. Man kann sich nicht auf dem ausruhen, was man hat.“
Es ist schwierig, über Lägreids Trefferquote von+90 % noch hinauszukommen, aber er hat das Gefühl, dass im Stehendschießen noch zwei oder drei Prozentpunkte möglich sind, die den entscheidenden Unterschied machen könnten. „Ich habe sehr hart an meiner Stärke gearbeitet, dem Liegendanschlag, in dem ich sehr schnell schießen kann, wenn ich will. Aber ich mache jetzt einen Schritt zurück, um mehr Kontrolle zu haben.“ Ganz nüchtern sagt er weiter: „Ich habe in der letzten Saison vier Liegendscheiben stehen lassen. Wenn ich mich irgendwo noch verbessern kann, dann im Stehendanschlag. Daran habe ich gearbeitet. Wenn ich da von 89 auf 93 - 94 % komme, dann sehen die Zahlen gut aus. Das Stehendschießen zu verbessern ist schwieriger. Da geht es mehr ums Gefühl, um den Wind. Wenn man zu schnell an den Stand läuft, hat man plötzlich dreimal verfehlt und die Sache ist gegessen. Das ist vielleicht eher eine mentale als eine technische Frage. Ich denke, ich habe eine gute Lösung gefunden. Ich dachte immer, es ist okay, in 25 Sekunden fünf Treffer zu setzen, aber das müssen 20 sein. Man muss nicht denken, dass man schnell schießt, man muss es einfach machen. Effizient und geschmeidig arbeiten, dann geht es schnell.“
Lägreid weiß, dass er nicht der Einzige ist, der den Spitzenplatz erobern will, und sagt über seine größten Rivalen:
Vetle Sjaastad Christiansen: „Er ist es, den man im Auge behalten muss. Er ist in der Form seines Lebens. Ich bin mit ihm im Trainingslager gewesen, den muss man schlagen können.“
Quentin Fillon Maillet: „Der ist immer gefährlich, das ist der Franzose, vor dem man sich in Acht nehmen muss.“
Sebastian Samuelsson: „Sebbe ist wie so ein Einsiedler, der sich nirgendwo blicken lässt. Ich wünschte, er würde mal bei ein paar Einladungsrennen auflaufen. Aber er weiß, was er tun muss, damit es im Winter gut läuft. Er ist besser als manch anderer, wenn es darum geht, da Prioritäten zu setzen.“
Emilien Jacquelin: „Er liebt die Show. Wir wissen, wie schnell er schießen kann. Wenn das Publikum hinter ihm steht, wird er laufen wie der Teufel.“
Tarjei Bö: Er ist der Silberrücken. Er weiß genau, was er tut. Der trifft den Nagel jedes Mal genau auf den Kopf. Auf den muss man im Winter ein Auge haben.“
Was den Aufstieg an die Spitze angeht, und den Versuch, in der kommenden Saison seinen rothaarigen Mannschaftskameraden zu schlagen, sagt Lägreid weiter: „Ich muss mich noch steigern und mehr Druck auf ihn aufbauen, sowohl bei der Trefferquote als auch in Sachen Effizienz. Ich hoffe, ich kann ihm auf den Fersen bleiben und den Druck aufrecht erhalten. Der Abstand muss im Sprint bei etwa 15 Sekunden sein, dann wird er den Druck schon spüren. Er hat jetzt zu viel Vorsprung und damit zu viel Sicherheit. Wir müssen einfach dicht genug herankommen, dass er sich nicht zu wohl fühlt.“
Halb im Scherz sagt er weiter: „Ich muss in Bestform auflaufen. Ich muss ihn nicht jedes Mal schlagen. Aber wenn ich immer nah dran bleibe, weiß er, dass er treffen muss, weil ich treffen werde. Er (Johannes) wird darum kämpfen müssen.“
„Ich habe das Ziel, Johannes eines Tages zu schlagen, und vielleicht ist das jetzt das Jahr. Er hat wegen des zweiten Kindes nicht so viel trainiert. Aber wir schauen mal... es wird ein heißer Kampf!“
Fotos: IBU/Nordic Focus, Christian Manzoni, Jerry Kokesh