In der Saison 2021/2022 hatte ich die beste Form meiner Karriere. Es fühlte sich an, als könnte ich meinen Körper grenzenlos antreiben und Woche für Woche volle Konzentration aufbringen. Nach den Olympischen Winterspielen in Peking 2022 war ich sehr müde. Aber da der Gesamtsieg in greifbarer Nähe lag, habe ich weiter Gas gegeben.
Nach dem Saisonfinale am Holmenkollen in Oslo brauchte ich eine lange Erholungsphase, aber ich hatte so viele Medienverpflichtungen, dass ich immer weiter machen musste. Nach Olso war ich vier Tage lang in Paris, habe Interviews gegeben und Sponsorenveranstaltungen besucht. Als ich endlich zu Hause war, hatte ich keine Energie mehr. Nach vier Wochen Urlaub dachte ich Mitte April 2022, ich sei wieder bereit, mich auf die folgende Saison vorzubereiten. Doch mein Körper hat mir widersprochen. Ich bin dreimal in kürzester Zeit krank geworden. Die Eröffnungswoche im letzten Winter war kompliziert: Ich wollte wieder um den Gesamtweltcupsieg mitkämpfen, aber ich konnte nicht genug Kraft aufbringen.
Ich habe im Mai angefangen, war dann aber in Juni sehr müde. Dann habe ich mich untersuchen lassen. Es kam heraus, dass mein Körper völlig erschöpft war. Ich musste mein Training komplett umstellen. In den folgenden Monaten musste ich meine Trainingseinheiten herunterschrauben, nur Low-Intensity-Workouts machen und mich viel ausruhen. Der Arzt sagte mir, ich sollte die Untersuchungsergebnisse als Zeichen dafür sehen, dass mein Körper krank war und mich nicht zu sehr anstrengen. Wenn ich es nicht tat, könnte es sich über ein Jahr oder länger hinziehen. Das war eine sehr schwierige Zeit für mich.
Ich habe akzeptiert, dass die Energie des Körpers wie eine Batterie funktioniert: Man muss sich immer wieder aufladen, bevor man sich erneut verausgabt. In diese Saison bin ich langsam gestartet… mal wieder. Zum Glück war ich bis zur Weltmeisterschaft in Nove Mesto wieder in Bestform.
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Unsere Verbandschefs haben die Athleten nach der olympischen Saison 2021/2022 gefragt, ob wir das Trainerteam wechseln möchten. Nach einer für mich perfekten Saison sah ich keinen Grund für Veränderungen. Vincent Vittoz und Patrick Favre haben mir in meiner Karriere sehr geholfen. Niemand hat je ihre Kompetenz in Frage gestellt. Während der Saison 2022/2023 waren die Athleten gelangweilt von den immer gleichen Trainingseinheiten. Und unsere Chefs haben dann die Entscheidung getroffen.
Ich bin acht Jahre lang zusammen mit Simon gelaufen. Ich kenne ihn gut als Athlet. Aber ich habe nie mit ihm als Trainer zusammengearbeitet. Ich habe mit einigen Juniorenathleten gesprochen, die von Simon trainiert wurden und sie haben mir versichert, dass er sehr viel Energie und frische Ideen ins Team gebracht hatte. Also haben wir uns für Simon entschieden. Jean-Pierre war mein Schießtrainer in meiner Juniorenzeit. Ich weiß, dass er – wie Simon – sehr wettbewerbsorientiert ist und gewinnen will.
Am Anfang war es nicht einfach. Wir haben alle Fehler gemacht. Für die neuen Trainer war es nicht einfach, mein heruntergefahrenes Trainingsprogramm in den Gruppenplan zu integrieren. Zum Glück hat es rechtzeitig funktioniert und wir haben in Nove Mesto Medaillen gewonnen. Ich habe drei Staffelmedaillen mit nach Hause gebracht.
Ich muss weiterhin mein Energie-Level im Auge behalten und mich frage, wie weit ich gehen kann. Dann zweifelte ich an meiner Schießleistung. Aber ich glaube, ich habe jetzt die richtige Balance zwischen Training und Erholungsphasen gefunden. Meine Energie ist zurück und auch meine Treffsicherheit.
In anderen Sportarten gibt es die Möglichkeit, sich als Athlet umzustellen. Zum Beispiel weniger zu laufen im Fußball, weniger zu verteidigen im Basketball oder kürzere Bälle zu spielen im Tennis. Doch im Biathlon ist so etwas nicht möglich. Man muss seine Arbeit machen und pro Wettkampf 10 oder 20 Kilometer laufen und 10 oder 20 Scheiben treffen.
Ich höre sehr genau darauf, was mein Körper mir sagt. Wenn man das tut, bemerkt man, dass der Körper der Experte ist. Gesunde Ernährung und ausreichend Ruhe sind die Basis für alles. Simon misst jeden Morgen unsere Herzfrequenz und diese Daten unterstützen meine Entscheidungen.
Nach dem Einzel hat keiner sofort gesagt, dass er in der Single-Mixed-Staffel laufen möchte. Die Umstellung auf die hohe Geschwindigkeit in der Single-Mixed-Staffel nachdem man im Einzel 20 km gelaufen ist, ist nicht einfach. Außerdem hat man einen Tag Pause und dann kommen die Herrenstaffel und der Massenstart direkt hintereinander. Ich habe gespürt, dass mein Körper bereit war. Also habe ich mich gemeldet, um in meiner ersten Single-Mixed-Staffel in einem Weltcup bzw. bei einer Weltmeisterschaft anzutreten. Und ich habe Gold gewonnen!