Zwischen dem Ende des zweiten Trimesters und dem Beginn der BMW IBU-Weltmeisterschaften 2025 in Lenzerheide hat Johannes Thingnes Boe einmal mehr auf sein Bauchgefühl gehört und das Höhentrainingslager der norwegischen Mannschaft verlassen, um zu Hause Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Bei langen Skitouren hat er seinen Kopf freibekommen und seinen Körper auf das letzte große Hurra seiner glorreichen Karriere vorbereitet. Dabei hat er auch allein für sich gekocht – und zwar Dinge, die ihn glücklich machen. Nach seinem verkündeten Rücktritt zum Saisonende hatte er zuvor in Antholz-Anterselva etwas durcheinander gewirkt. Doch nun kam er mit neuer Energie und als ein Mann zurück, der mit sich und der Welt um ihn herum im Reinen und voll und ganz auf Biathlon fokussiert ist. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Ein Johannes im Flow ist nahezu unbezwingbar.
So kam es dann auch: Der Norweger sicherte sich das Double aus Sprint und Verfolgung und brach damit zwei alte Rekorde innerhalb von nur zwei Tagen: Zum einen stieg er durch seine Goldmedaille im Sprint mit 21 WM-Titeln zum alleinigen Rekordhalter vor Ole Einar Bjoerndalen auf. Zum anderen sicherte er sich durch die Goldmedaille in der Verfolgung seinen zwölften WM-Einzeltitel und damit einen mehr als Martin Fourcade.
Die meisten Medaillen in der ersten WM-Woche sammelte jedoch nicht JT Boe, sondern DSV-Athletin Franziska Preuß, die mit Bronze in der Mixed-Staffel die Titelkämpfe eröffnete. Im Sprint kletterte sie dann einen Rang nach oben zu Silber und holte damit ihre zweite WM-Einzelmedaille, nachdem sie vor zehn Jahren in Kontiolahti ebenfalls Silber im Massenstart gewinnen konnte. In der Verfolgung am Sonntag setzte sie sich schließlich die Krone auf und holte in herausragender Manier mit 20 Treffern den WM-Titel. Dabei standen ihr schon auf der Schlussrunde die Freudentränen in den Augen, ehe sie mit deutscher Flagge in der Hand freudestrahlend die Ziellinie überquerte. Preuss ist zudem die sechste Biathletin in der Geschichte, die nach 30 ihren ersten Einzel-WM-Titel gewann, den letzten vor Denise Herrmann-Wick im Sprint in Oberhof 2023.
Trotz seines historischen Erfolgs als erster Biathlon-Weltmeisterschaftsmedaillengewinner, der auf der Südhalbkugel geboren wurde, als erster individueller Weltmeisterschaftsmedaillengewinner des 21. Jahrhunderts und mit 22 Jahren, 8 Monaten und 22 Tagen als jüngster individuelle Medaillengewinner bei einer Weltmeisterschaft seit Johannes’ Sprint-Gold in Kontiolahti – 337 Tage jünger – war Campbell Wright keineswegs ein unbekannter Außenseiter. Mit einem vierten Platz im Sprint von Kontiolahti und regelmäßigen Platzierungen nahe am Blumenpodium hatte sich sein Aufstieg bereits angedeutet. Nun führt er die U23-Wertung an und reift mit perfektem Timing zu einem Top-Biathleten heran – furchtlos, beeindruckt von seiner rasanten Entwicklung und zugleich bescheiden angesichts seines Erfolgs.
Ich bin einfach unglaublich dankbar, in dieser Position zu sein und diese Momente erleben zu dürfen. Ich begann meine Biathlon-Reise in Neuseeland und hatte das unglaubliche Glück, die Menschen, die ich getroffen habe, kennenzulernen, die Trainer zu haben, die ich habe, und von meinen Eltern und Freunden unterstützt zu werden.
Während Campbell Wright die meisten überrascht haben dürfte, machte Justine Braisaz-Bouchet einfach dort weiter, wo sie letzte Saison in Lenzerheide aufgehört hatte: mit einem Sieg und einer weiteren Podestplatzierung. Im Sprint sicherte sich die Französin ihr zweites WM-Einzelgold und in der Verfolgung holte sie Bronze. Damit war sie die einzige der hochgehandelten französischen Frauen, die in der ersten Woche von Lenzerheide eine Einzelmedaille – in ihrem Fall sogar zwei – gewinnen konnte.
Bei den französischen Männern sicherten sich Quentin Fillon Maillet im Sprint und Eric Perrot in der Verfolgung jeweils Bronze. Für Perrot war es die erste WM-Einzelmedaille. Auch Elvira Öberg sicherte sich ihre erste WM-Einzelmedaille, nachdem sie kurz vor dem Weltcup in Antholz-Anterselva krank geworden war und pausieren musste. Trotz dieses Rückschlags kämpfte sie sich beharrlich zurück, holte nach Platz 10 im Sprint noch Silber in der Verfolgung und bescherte Schweden damit das erste Edelmetall bei dieser WM.
Wenn die Weltmeisterschaften am Dienstag mit dem Einzel der Frauen weitergehen, werden viele große Namen hochmotiviert sein. Lou Jeanmonnot, die vor den Einzelrennen vielleicht die größte Titelanwärterin war, zeigte in der ersten Woche ein wiederkehrendes Muster: Sobald sie den ersten Schuss danebensetzt, verliert sie die Spitze aus den Augen. Die Plätze sechs im Sprint und vier in der Verfolgung waren sicherlich nicht das, was sie sich erhofft hatte. Julia Simon schien die Dinge etwas zu überstürzen und war von den Medaillenrängen weit entfernt. Das Gleiche gilt für Sebastian Samuelsson und Emilien Jacquelin sowie – etwas überraschend – die so starken norwegischen Männer mit Ausnahme von JT. Bis jetzt konnte selbst der Führende im Gesamtweltcup, Sturla Holm Lægreid, nicht mit dem Tempo der bisherigen Medaillengewinner mithalten.
Foto: Fotos: IBU/Vianney Thibaut, Nordic Focus