Vor dem Bruch in ihrer Saison war die jüngere der beiden Oebergs auf gutem Weg, ihre ältere Schwester zu überstrahlen, wie sie 2017 nach ihrer Bronzemedaille bei der IBU Jugend-WM vorhergesagt hatte: „Ich denke, ich werde besser sein als (die Olympiasiegerin über 15 km im Jahr 2018) Hanna.“ Dieser Bronzemedaille folgte 2018 dreimal Gold im Jugendbereich, die Berufung ins Weltcupteam 2019, ihr erster Podiumsplatz in einem Weltcuprennen 2020 und drei olympische Medaillen 2022.
Enttäuschung zum Saisonende
Elvira sagte, der erhoffte Höhepunkt der vergangenen Saison habe sich in eine Bruchlandung verwandelt. Das war eine bittere Pille. „Es war sehr, sehr hart. Erst wurde ich in Ruhpolding krank, doch dann ging es mir wieder gut. Ich wusste, die Weltmeisterschaften standen bevor und ich konnte es mir leisten, ein Rennen zu verpassen. Als ich bei der WM krank wurde, war der Weltcupgesamtsieg immer noch möglich. Doch in Nove Mesto wollte mein Körper nicht so wie ich wollte. Es war wirklich schwer. Ich wusste, zu was ich fähig war. Mein Körper ist normalerweise mein sicherer Hafen, mein Ruhepol. Als er nicht richtig funktionierte, wirkte sich das auf mein Schießen aus. Ich erkannte mich als Biathletin nicht wieder. Es waren sehr schwierige Wochen und nach der Saison musste ich all das erst einmal verarbeiten… Ich war sehr enttäuscht, aber ich hatte auch einige gute Erinnerungen (an die Saison).“
Neben den frühen Siegen und dem Kampf ums Gelbe Trikot war die Bronzemedaille bei der IBU WM ein kleiner, aber wichtiger Trostpreis. „Das war es absolut. Es war alles, was ich tun konnte. Ich war am Limit. Wahrscheinlich bin ich zu früh wieder eingestiegen (nach der Krankheit), aber ich fuhr mit meiner ersten WM-Medaille nach Hause. Wie wir auf Schwedisch sagen: Es war ein Pflaster auf der Wunde! Es bedeutete mir viel, ein kleiner Teil der sehr erfolgreichen schwedischen Weltmeisterschaftsmannschaft gewesen zu sein.“
Doch sie verspürte einen kleinen Stich, als Hanna zweimal Gold gewann. „Ich war ein bisschen eifersüchtig. Ich wusste, ich war genauso gut wie sie. Ich hätte gern gewonnen, doch wenn ich schon nicht ganz oben stand, dann lieber sie als jemand anderes. Ich machte die schlimmsten Wochen meines Lebens durch und sie war die Königin der WM! Aber ich freue mich für sie. Wir stehen uns sehr nahe und ich war Teil ihres Erfolgs.“
Elvira Oeberg erholte sich nur langsam nach der Saison. „Ich habe länger gebraucht als sonst. Ich habe weniger als üblich im April trainiert. Im Mai war ich immer noch nicht in guter Form! Von Mitte Januar bis zu meinem Wiedereinstieg im Mai habe ich nicht wirklich gut trainiert. In diesem Sommer war es wichtig, cool zu bleiben und den Bogen nicht zu überspannen. Das Gute war, dass ich nach jeder Trainingsphase langsam wieder auf das Niveau kam, dass ich erreichen wollte. Im vergangenen Sommer war ich gestresst und wollte mich in jeder Saison steigern. Dieses Jahr habe ich einfach versucht, jede Trainingseinheit so gut wie möglich zu absolvieren… Ich bin entspannter und nicht so gestresst.“
Die 24-Jährige ist zufrieden mit dem Niveau, dass sie nach dem Sommertraining erreicht hat. „Es war toll, dass ich bei den Schwedischen Meisterschaften gute Laufzeiten zeigen konnte. Mein Körper gehorcht mir wieder… Mein bester Trainingstag war im Spätsommer. Wir liefen mit Stöcken in Oestersund einen Berg hinauf. Ein Tag nach den Intervallen. Zum ersten Mal fühlte sich mein Körper wieder so an, wie ich ihn kannte. Das war etwas, das ich seit Januar nicht mehr gespürt hatte… Ich denke, ich bin an einem guten Punkt angelangt.“
Elvira beendete die Saison 2022/23 mit der besten Trefferquote ihrer Karriere: 88%. Damit hatte sie ihr Ziel erreicht. „Das war viel besser als in der Saison zuvor. Mein Liegendschießen verbesserte sich von 80 auf 90%. Ich war sehr stolz, denn wir haben keine großen Veränderungen vorgenommen. Es waren nicht die schnellsten 90%, aber wenn ich 90% schaffe, kann ich ein Rennen gewinnen. Das ist das Ziel. Je öfter ich 90% in einem Rennen schaffe, desto häufiger kann ich auf dem Treppchen stehen.“
Elvira hat mehrere Ziele für die Zukunft, doch „müsste ich zwischen einem Weltmeistertitel und dem Weltcupgesamtsieg wählen, würde ich mich für die Große Kristallkugel entscheiden. Aber natürlich ist Nove Mesto der Saisonhöhepunkt… und ich will in Bestform sein.“
Der Weg zum Weltcupgesamtsieg und einer WM-Medaille führt an mehreren gefährlichen Rivalinnen vorbei.
Lisa Vittozzi: „Von allem, was ich gesehen habe, war sie diesen Sommer sehr stark. Letzte Saison hat sie gezeigt, dass sie ihre alte Form von vor mehreren Jahren wiedergefunden hat. Ich denke, sie wird um den Weltcupgesamtsieg mitkämpfen.“
Julia Simon: „Was sie letztes Jahr gezeigt hat, war beeindruckend. Aber nach einer derartigen Saison kann es schwierig sein, die tollen Ergebnisse zu wiederholen. Ich bin gespannt.“
Dorothea Wierer: „Sie ist immer noch stark. Wir wissen, dass sie läuferisch nicht mehr so gut ist wie früher, aber ihre Schießleistung und ihre Laufzeiten an ihren besten Tagen sind beeindruckend. Man muss sie im Blick behalten.“
Justine Braisaz-Bouchet: „Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand aus der Babypause zurückkehrt und besser ist als je zuvor.“
Alles in allem glaubt Elvira, dass ihre größte Konkurrentin ihre Schwester Hanna sein wird. „Ich denke, wir werden uns in dieser Saison viele Zweikämpfe liefern. Ich hoffe, wir können uns gegenseitig antreiben. Das wird bestimmt ein lustiger Winter für uns beide!“
Ganz egal, gegen wen sie in den kommenden Rennen antreten wird, Elvira Oeberg ist bereit für jede Herausforderung und erwartet, öfter auf dem Treppchen als daneben zu stehen.
Fotos: IBU/Christian Manzoni, Jerry Kokesh, Nordic Focus/ Leo Authamayou