JT Boe ist auf der Jagd nach seiner fünften Großen Kristallkugel und erneut die unbestreitbare Nummer eins im Herrenbiathlon. Nach seiner eher unglücklich verlaufenen olympischen Saison kehrte er zurück wie Indiana Jones auf der Flucht vor einer riesigen Steinkugel: Er schaute nicht zurück, zeigte seinen Willen und seine Entschlossenheit und besiegte quasi jeden Gegner. Laegreid sagte über JTs unglaubliche Fähigkeiten: „Sein Körper ist für schnelles Skilaufen gemacht… Er ist unglaublich auf der Strecke… Und er hat sein Schießen im Griff. Das macht ihn praktisch unschlagbar.“ 19 Weltcupsiege, eine Medaille in jeder Disziplin in Oberhof, der Weltcupgesamtsieg und zwei kleine Kristallkugeln in den Disziplinwertungen. Das ist schwer zu schlagen. Doch JT kann es erneut schaffen. Er hat eine Zielscheibe auf dem Rücken und seine Rivalen sind bereit, zuzuschlagen. JT Woche für Woche siegen zu sehen, kann langweilig werden. Doch zuzuschauen, wie er scheinbar mühelos gewinnt, ist beste Biathlonunterhaltung. Sein Trainer Siegfried Mazet sagte über den talentiertesten Athleten, den er je trainiert hat: „Was natürliche Begabung betrifft, ist Johannes Thingnes Boe eindeutig herausragend.“ Und… die Siegesserie geht weiter.
Drei Saisons nacheinander Platz zwei – das frustriert und motiviert Laegreid gleichzeitig. „Ich bin ungaublich stolz. Meine Leistungen sind stabil. Ich bin nicht der schnellste Läufer, aber meine guten Schießleistungen verschaffen mir einen Vorteil. Ich muss meine Stärken noch weiter ausbauen und an meinen Schwächen arbeiten.“ Verbesserungen sind der Schlüssel für Laegreid, welchem JTs angeborene Laufstärke fehlt. Mazet sagte, dass „Sturla hat hart gearbeitet, um dieses Niveau zu erreichen.“ Laegreid feilte im vergangenen Sommer an seinem Stehendschießen und verbesserte seine Trefferquote von 85 % aus der letzten Saison auf über 90 %. Außerdem schießt er nun schneller. „Es war okay, in 25 Sekunden fünf Treffer zu setzen, aber ich wollte es in 20 Sekunden schaffen.“ Und das gelang ihm auch bei seinem Sieg in Wiesbaden. Gleichzeitig muss Laegreid seiner Konkurrenz aber auch einige Sekunden auf der Strecke abnehmen. Der geradlinige Ansatz des 26-Jährigen und seine unschlagbare Einstellung könnten ihm diese Saison die Große Kristallkugel einbringen.
Sebastian Samuelsons Saison vor Oberhof 2023 war quasi ein Desaster: keine Podiumsplätze und zweistellige Ergebnisse in acht von 14 Rennen. Rang 13 in der Weltcupgesamtwertung war weit von seinem dritten Platz in der vorhergehenden Saison entfernt. Doch vier Medaillen in Oberhof, darunter seine erste Einzelgoldmedaille bei einer WM, gaben seiner Saison eine neue Richtung. Samuelsson, der sein eigenes Rollerski-Laufband genauso oft quält wie JT Boe, ist für seine harte Arbeit bekannt. Und er ist läuferisch näher an JT dran als Laegreid. Der Schlüssel für den Weltcupgesamtsieg ist beim schwedischen Star der Schießstand. 2020/21 zeigte er die beste Saison seiner Karriere mit einer Trefferquote von 87 %. Doch er muss mindestens 90 % schaffen, um eine Chance zu haben. Samuelsson konzentrierte sich in diesem Jahr aufs Schießen: „Ich will der Beste sein und muss meine Trefferquote erhöhen. Ich arbeitete daran, schneller zu schießen und mehr Scheiben zu treffen.“ Seine WM-Ergebnisse spiegeln Samuelssons Talent als einer der Großen wider. „Ich mag solche Situationen (in denen ich unter Druck stehe). Ich glaube, dann schieße ich besser.“ Eine höhere Trefferquote, gewachsenes Selbstbewusstsein nach Oberhof und ein brennendes Verlangen, der Beste zu sein, könnten die Dominanz der Norweger ein für alle Mal beenden.
Quentin Fillon Maillet zeigte eine spektakuläre Olympiasaison (zweimal Gold und dreimal Silber) und rang JT die Große Kristallkugel ab, als sich der Norweger nach Peking von der Saison verabschiedete. Vergangenes Jahr war eine andere Geschichte. Der französische Star fiel auf Platz acht in der Weltcupgesamtwertung zurück und schaffte nur zwei Treppchenplätze. Fillan Maillet gab zu: „Ich habe mir nicht genug Zeit gelassen, um vor dem Start der neuen Saison vollständig zu regenerieren.“ Dementsprechend hatte er 2022/23 massive Probleme, bis er in Oslo 49 von 50 Schüssen ins Ziel setzte und die Plätze zwei und vier einfuhr. In diesem Sommer nannte sein Trainer Simon Fourcade Fillon Maillet „einen wahren Anführer, der stark motiviert ist“. Nach einer längeren Erholungspause als im Vorjahr zeigte Fillon Maillet solide Ergebnisse bei den zweiteiligen französischen Sommermeisterschaften und fuhr einen Verfolgungssieg ein. Er ist erneut absolut konzentriert und will zeigen, dass er es mit den Norwegern aufnehmen kann. Sollte der „König der Rennen mit vier Schießeinheiten“ seine Trefferquote von 86 % wieder auf 90 % steigern können, ist er mitten drin im Kampf und seine zweite Große Kristallkugel.
Vetle Sjaastad Christiansen blickt optimistisch auf seine Chancen, nachdem er im vergangenen Jahr Platz drei in der Weltcupgesamtwertung belegte, sieben Mal auf dem Podium stand und zwei kleine Kristallkugeln abräumte. Seine Leistungen verbesserten sich nur langsam nach seinem Gesamtsieg im IBU Cup 2018, doch letzte Saison hatte er eine Chance, seinen Teamkollegen zu schlagen. „Ich bin jedes Jahr näher (an JT) herangerückt.“ Christiansen stellte im Sommertraining mehrere persönliche Rekorde, fuhr einen Sieg beim Blinkfestivalen ein und schlug die hochrangige Konkurrenz beim Martin Fourcade Nordic Festival. War das nur die Ouvertüre zur neuen Saison? An seinen besten Tagen schießt er wie der Teufel (20/20 im Massenstart von Oestersund und Oslo) und ist läuferisch stark genug, um an JT heranzukommen. Optimistisch meint er: „Ich habe es schon einmal gesagt und sage es wieder: Vielleicht wird das mein Jahr!“
Emilien Jacquelin hat die Fähigkeiten, ganz oben zu stehen: Er ist unglaublich laufstark, schießt akkurat und verfügt über einen Killerinstinkt, wenn es darauf ankommt. Er muss nur alles längere Zeit zusammenbringen, um sein Talent voll auszuspielen. Jacquelin gewann zweimal hintereinander IBU WM-Gold in der Verfolgung, blieb in den beiden besten Rennen seiner Karriere fehlerfrei und besiegte JT Boe. Nach einer langen Pause nach Oberhof und einem soliden Sommertraining ist er nun zurück: mit neuer Energie und positiver Einstellung. Der 28-Jährige stellte sein Talent mit seinem Doppelsieg in Sprint und Verfolgung auf der French Summer Tour Mitte Oktober unter Beweis. Doch Jacquelin hat noch nie eine ganze Saison ohne große Enttäuschungen überstanden. Er muss beständiger werden. Dann kann er alle überraschen und sich an die Spitze setzen!
Fotos: IBU/Christian Manzoni, Igor Stancik, Nordic Focus