Sister Act: Hanna und Elvira Oeberg

Den 3. Dezember 2020 werden Hanna und Elvira Oeberg für immer in Erinnerung behalten: An jenem Tag gewann Hanna das Sprintrennen von Kontiolahti, Elvira erklomm Platz 3. Damit standen die beiden Schwestern erstmals gemeinsam auf dem Podium.

Jener Tag verdeutlichte aber auch, welch großen Respekt beide voreinander haben – und wie wichtig sie füreinander sind. Hanna sagte seinerzeit: „Sie tut mir auch beim Trainieren richtig gut. Sie ist stark und ich versuche, so gut wie möglich davon zu profitieren. Wir pushen uns das ganze Jahr über bei jedem Training gegenseitig.“ Elvira meinte: „Sie hat mit sehr viel beigebracht und ich habe immer zu ihr aufgeschaut. Sie hat viel damit zu tun, dass ich schon jetzt dort bin, wo ich bin.“

Nach einer großartigen Vorsaison (Hanna wurde 4., Elvira 12. in der Weltcup-Gesamtwertung) haben sich die beiden hochtalentierten Schwestern während eines Trainingscamps in Font Romeu die Zeit für ein Gespräch mit uns genommen und in entspannter Atmosphäre über ihre Beziehung zueinander, die Sommervorbereitung und die anstehenden Olympischen Spiele Peking 2022 gesprochen.

Biathlonworld: Ihr habt die letzten beiden Sommer in Schweden trainiert. Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder außerhalb der Heimat im Trainingslager zu sein?

Hanna Oeberg: In diesem Jahr haben wir eine gute Balance zwischen Training zu Hause und Vorbereitung um Ausland gefunden. Im Vorjahr war es schön, mehr Zeit in der Heimat zu verbringen. In diesem Jahr hatten wir einige Camps in Schweden. Doch es ist wichtig, auch ins Höhentrainingslager zu gehen. Es war die richtige Entscheidung, im Sommer in Schweden zu trainieren. Das Wetter und die Trainingsbedingungen waren gut. Jetzt ist die Witterung zu Hause nicht optimal, also genießen wir die Sonnenstrahlen in der Höhe und trainieren an den langen Anstiegen.

Elvira Oeberg: Letztes Jahr wollte ich unbedingt ins Trainingslager auf dem europäischen Festland. Im Gegensatz zu meinen älteren und erfahreneren Teamkolleginnen macht mir das Reisen nicht so viel aus. Dieses Camp war gut, weil ich mich nach einem Ortswechsel gesehnt hatte und etwas anderes machen wollte. Das ist auch aus mentaler Sicht von Vorteil.

BW: Ihr habt zu Beginn der letzten Saison für mächtig Furore gesorgt und im Sprint die Plätze1 und 3 belegt. Hattet ihr einen solchen Start erwartet?

HO: Ehrlich gesagt hätten wir nicht gedacht, dass wir so gut aus den Startlöchern kommen. Allerdings hat es mich auch nicht groß überrascht, dass wir gemeinsam auf dem Podium standen. Ich wusste, dass Elvira einen Riesensatz nach vorn gemacht hatte. Ich selbst konnte mich im Sprint verbessern. Doch es war schon etwas Besonderes, zusammen auf dem Treppchen zu stehen.

EO: Es lag auf der Hand, dass ich mich gut entwickelt hatte. Das Niveau in unserem Team ist hoch. Deine Leistung innerhalb des Teams zeigt, wozu du fähig bist. Wir wussten also, dass es möglich war. Lustigerweise ist der Sprint meine Lieblingsdistanz, während Hanna da immer ein paar Probleme hatte. Vor fünf oder sechs Jahren war es undenkbar, gemeinsam auf dem Podium zu stehen. Nun kam es schneller als gedacht. Man wünscht sich das natürlich ... (Hanna wirft ein: „Aber wir haben das nie ausgesprochen.“)

BW: Aufgrund eures Altersunterschieds (Hanna ist 26, Elvira 22, Anm. d. R.) wart ihr bis vor Kurzem nie in derselben Trainingsgruppe. Wie fühlt es sich an, jeden Tag zusammen zu trainieren? Ist der Konkurrenzkampf zwischen euch groß?

HO: Seit wir gemeinsam im Nationalteam sind, verbringen wir mehr Zeit miteinander als je zuvor. Das ist wirklich toll! Die Unterschiede zwischen uns waren größer, als wir jünger waren. Ich bin mit 15 für vier Jahre auf die Sportschule gegangen. Als ich fertig war, ging Elvira vier Jahre dorthin. In jenen acht Jahren haben wir uns nicht so häufig gesehen. Erst in den letzten Jahren sind wir uns wieder nähergekommen.

EO: Natürlich will ich besser sein als Hanna. Aber wenn ich nicht gewinnen kann, dann gibt es keine, der ich den Sieg mehr gönnen würde als meiner Schwester. Wir versuchen, uns gegenseitig zu pushen, damit wir uns beide verbessern.

HO: Teamwork und Chemie zwischen uns stimmen. Wir sprechen viel darüber. Ich bin auch zufrieden, wenn sie besser ist als ich. Früher ist sie mir im Training gefolgt, um zu sehen, was ich mache. Heute ist sie auf demselben Niveau und kann etwas zurückgeben: Wenn sie in Topform ist, kann ich mich an sie ranhängen. Das hilft mir ungemein. Wir versuchen wirklich, uns jeden Tag gegenseitig zu unterstützen.

BW: Stichwort Training: Elvira schießt schneller, Hanna vermeintlich vorsichtiger – gibt es einen Mittelweg zwischen Schnelligkeit und Genauigkeit?

EO: Sie ist immer noch die bessere Schützin. Es kostet mich viel Mühe, so schnell zu schießen wie Hanna. Wenn man sich die Schießzeiten im Winter anschaut, ist sie bedeutend schneller als ich. Doch daran arbeite ich.

HO: Ich denke, ich habe ein etwas besseres Gefühl dafür, wann ich rausnehmen sollte und wann ich schneller am Abzug sein kann. Da spielt Erfahrung eine Rolle.

BW: Schießen ist im Biathlon der Schlüssel zum Erfolg. Was habt ihr unternommen, um der magischen Marke von 88–89 % näherzukommen?

HO: Ich habe sehr viel an meinem Liegendanschlag gearbeitet, um herauszufinden, welche Dinge mich daran hindern, in den Flow zu kommen. Wenn ich im Flow bin, läuft das Liegendschießen perfekt. Ansonsten habe ich etwas zu kämpfen. Wir haben analysiert, was ich tun kann, um Fehler zu vermeiden. Wir haben auch etwas gefunden, was meiner Meinung nach entscheidend sein könnte. Ich werde allerdings nicht verraten, was es ist ... Doch es sollte helfen.

EO: Ich habe beispielsweise einen neuen Gewehrschaft, weil wir festgestellt haben, dass es hier Verbesserungspotenzial gibt. Ich habe auch viel an meiner Geschwindigkeit gearbeitet. Dabei ging es nicht darum, so viel zu schießen wie im letzten Jahr, sondern mehr um die Qualität der Schüsse und die Effektivität auf der Matte. Es ging darum, schneller zu sein, ohne dass es der Trefferquote schadet.

BW: Elvira, hat dich der Erfolg deiner Schwester inspiriert, als du bei den Juniorinnen gestartet bist?

 EO: Natürlich! Schon davor fand ich es megacool, als Hanna gute Ergebnisse erzielte. Ich dachte: „Wow, es ist möglich.“ Als Hanna dann im Weltcup und bei Olympia auftrumpfte, war es natürlich eine riesige Inspiration für mich. Wir sind auf die gleiche Sportschule gegangen und hatten dieselben Trainer. Als ich sah, was sie erreicht hat, wusste ich, was möglich ist. Wenn sie es geschafft hat, kann ich es auch schaffen.

BW: Und was ist Hannas größte Stärke?

EO: Ich denke,ihre mentale Stärke am Schießstand. Wenn es drauf ankommt, zeigt sie ihr ganzesKönnen.

BW: Hanna, was zeichnet Elvira besonders aus?

HO: Sie gibt niemals auf. Wir alle haben im vergangenen Winter erlebt, welch grandiose letzte Runde sie in den Schnee zaubern kann. Sie holt bis zur Ziellinie alles aus sich heraus, unabhängig von der Platzierung, um die es geht.

BW: Hanna, ist es eigentlich Last oder Freude, um die Weltcup-Gesamtwertung zu kämpfen?

HO: Ich weiß, dass ich zu den Athletinnen gehöre, die ein Wörtchen um die Große Kristallkugel mitreden können. Denn Beständigkeit ist eine meiner Stärken. Der kommende Winter wird ein ganz Besonderer sein, da eine Olympische Saison auf uns wartet. Stand jetzt werde ich einige Weltcuprennen auslassen. Daher ist es schwer zu sagen, ob ich um die Gesamtwertung mitkämpfen kann oder nicht. Es hängt ein bisschen davon ab, was die anderen machen. Doch mein Hauptaugenmerk liegt ganz klar auf Olympia.

BW: Apropos Olympia: Wie wäre es, wenn ihr gemeinsam dorthin fahren könntet?

HO: Das wäre fantastisch! Es wäre ein Traum, gemeinsam bei Olympia zu starten und zu wissen, dass jede von uns zu Bestleistungen fähig ist. Die Olympischen Wettbewerbe sind die Wichtigsten der gesamten Saison. Ungeachtet dessen besteht mein Ziel darin, mich immer weiter zu verbessern. Deshalb glaube ich nicht, dass Olympia darüber entscheidet, wie gut ich als Athletin bin. Es macht mich auch glücklich und zufrieden, wenn ich die gleiche Leistung im Weltcup abrufe. Wenn man sich voll fokussiert, extrem hart arbeitet und einige Rennen auslässt, kann man bei den Olympischen Spielen allerdings schon in absoluter Topform sein. Vergangene Saison wollte ich bei allen Wettkämpfen an den Start gehen. Daher war ich bei den Weltmeisterschaften nicht in bester Verfassung. Es ist echt hart, bei allen Rennen dabei zu sein ...

And for fun…

BW: Wer würde nach einem engen Zielsprintdas Foto-Finish für sich entscheiden?

EO: Definitiv ich.

HO: Na, ich weißnicht. In unserem Team würden wahrscheinlich viele auf Elvira setzen. Aber wenn eine sie schlagen kann, dann ich!EO: (lacht) Ich denke, du bist eine der ganz wenigen. Es wäre ne enge Geschichte ...

BW: Habt ihr einen gemeinsamen Charakterzug?

EO: Wir sind beide ziemlich dickköpfig.

BW: Was packt ihr als Erstes in eure Tasche, bevor es auf Reisen geht?

EO: Mein Telefon. Das ist das Wichtigste. Da ist Netflix drauf, eigentlich mein ganzes Leben.

HO: Ich nehme meine Yogamatte mit.

BW: Welche App nutzt ihr am häufigsten?

EO: Instagram oder Snapchat. Die Generation Snapchat in unserem Team bin eindeutig ich!

BW: Wie würdet ihr euch gegenseitig in drei Worten beschreiben?

EO: Ehrgeizig, sorgfältig und dickköpfig.

HO: Sie ist auch sehr ehrgeizig, beharrlich und äußerst selbstbewusst.

 

 

 

 

Photos: IBU/Christian Manzoni, Evgeny Tumashov, Jerry Kokesh, Svensk Skidskytte/Hakan Blidberg

 

 

 

 

 

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