Glückliche Olympiasiegerin
Auf die Frage, wie sie sich anhört, als Olympiasiegerin angesprochen zu werden, erwiderte Denise Herrmann: „Das hört sich richtig gut an. Man träumt von so einem Erfolg, aber ich hätte nie gedacht, dass ich im Einzel zu Gold laufen würde. Dieser Wettkampf hat so viel Tradition und ist daher etwas ganz Besonderes. Während des Rennens habe ich nur auf mich geschaut und mir für die Schlussrunde etwas Energie aufgespart. Mein Rennen war sehr gut, auch wenn es im letzten Umlauf richtig hart war. Ich habe heute versucht, das Beste aus mir herauszuholen. Am Ende weiß man schließlich nie, was noch passiert. Das Warten nach dem Zieleinlauf war schrecklich – ich war viel angespannter als vor dem Start. Dass am Ende Gold herausspringt, ist einfach unglaublich!“
Fokus auf jeden einzelnen Schuss
Zu ihren 19 von 20 Treffern sagte Herrmann: „Manchmal klappt gar nichts auf der Matte und an anderen Tagen läuft es wie geschmiert. Heute war ich voll fokussiert – ich habe mich auf jeden einzelnen Schuss konzentriert und die Zeit am Schießstand außer Acht gelassen. Vom Gefühl her habe ich richtig langsam geschossen, doch das spielt im Einzel keine große Rolle. Hier kommt es darauf an, ohne Fehler zu bleiben. Nach meinem Fehlschuss habe ich mir gesagt, dass ich ruhig bleiben muss. Das ist mir bei all dem Druck ganz gut gelungen.“
Herrmanns Landsfrau Vanessa Voigt kam nach einer Strafminute mit 16,6 Sekunden Rückstand auf Rang vier. Dahinter folgten die Belarussin Dzinara Alimbekava (ebenfalls ein Schießfehler, 31,7 Sekunden zurück) auf Platz fünf und Marketa Davidova (Tschechien) mit einem Fehlschuss und 31,9 Sekunden Rückstand auf Position sechs.
Nach den schwierigen Bedingungen bei der Mixed-Staffel am Samstag zeigte sich das Wetter im heutigen Einzel von seiner besseren Seite. Zum Start des Frauen-Einzels herrschten Sonnenschein und -7 °C, während nur leichter Wind wehte. Die Führende im Gesamtweltcup hatte das Privileg, als Erste auf die Strecke zu gehen. Dabei verfehlte Olsbu Roeiseland im ersten Liegendanschlag eine Scheibe. Während die Norwegerin eher vorsichtig am Abzug agierte, landete Dorothea Wierer hinter ihr in gewohnt schnellem Tempo fünf saubere Treffer. Herrmann war sehr schnell in der Loipe, schoss dann eher bedächtig, aber räumte alle Scheiben ab und ging 3 Sekunden vor Wierer zurück auf die Strecke. Chevalier-Bouchet traf ebenfalls alle fünf Ziele und schob sich auf Rang zwei. Auch Davidova, amtierende Weltmeisterin im Einzel, und Hanna Oeberg, die 2018 Olympiagold im Einzel gewann, blieben im ersten Anschlag ohne Fehler. Die Schwedin ging nur 4 Sekunden hinter Herrmann zurück in die Loipe. Tiril Eckhoff zeigte eine gewohnt schnelle Laufleistung und setzte sich nach sauberem Schießen 9 Sekunden vor Herrmann. Nur Elvira Oeberg war noch schneller als die Norwegerin und übernahm mit 4 Sekunden Vorsprung die Führung.
Olsbu Roeiseland landete im ersten Stehendanschlag fünf Treffer, während Wierer ihre zweite Scheibe verfehlte. Herrmann schoss fehlerfrei und schneller als sonst, sodass sie sich vorerst an die Spitze setzte. Chevalier-Bouchet zeigte sich auch im zweiten Schießen des Tages treffsicher und übernahm Rang zwei. Davidova räumte ebenfalls alle fünf Scheiben ab, wohingegen Hanna Oeberg nach zwei Fehlschüssen ihre Medaillenhoffnungen begraben musste. Ihre Schwester Elvira war schnell in der Loipe, verfehlte allerdings eine Scheibe und handelte sich so 40 Sekunden Rückstand ein. Nach perfektem ersten Liegendanschlag blieb Dzinara Alimbekava auch stehend ohne Fehl und Tadel und schob sich auf den dritten Rang.
Beim zweiten Liegendanschlag blieb Olsbu Roeiseland genauso wie Wierer fehlerfrei. Herrmann erreichte den Schießstand zwar mit mehr als einer Minute Vorsprung, doch nach einem Fehlschuss war das schöne Polster dahin. Durch fünf saubere Treffer setzte sich Chevalier-Bouchet mit 26 Sekunden Vorsprung an die Spitze, direkt gefolgt von Davidova, die auch im dritten Schießen alle Scheiben auf Weiß stellte. Dann kam Alimbekava, die ihre makellose Bilanz auch im zweiten Liegendanschlag beibehielt und sich 7 Sekunden vor Chevalier-Bouchet setzte.
Als Olsbu Roeiseland den letzten Schuss ihres abschließenden Stehendanschlags danebensetzte, wackelte ihr Platz auf dem Podium gehörig. Zwei Fehler von Wierer setzten ihren Medaillenträumen hingegen ein Ende. Herrmann kam als Führende zu ihrem abschließenden Stehendschießen – ruhig und souverän landete sie fünf Treffer und behielt 15 Sekunden Vorsprung auf Olsbu Roeiseland. Analog zur Norwegerin ließen auch Chevalier-Bouchet und Davidova bei ihrem letzten Besuch am Schießstand jeweils eine Scheibe stehen. Trotzdem manifestierte die Französin Position zwei. Alimbekava patzte bei ihrem letzten Stehendschießen einmal, dank ihrer schnellen Laufzeit wirkte sich die eine Strafminute aber nur geringfügig aus: Die Belarussin ging mit 11 Sekunden Rückstand auf Herrmann in die Schlussrunde und hatte noch alle Trümpfe in der Hand. Auch Vanessa Voigt konnte noch ein Wörtchen um die Medaillen mitreden, als sie nach fehlerfreiem Stehendanschlag 18 Sekunden hinter der Führenden in die Loipe zurückging.
Unterdessen untermauerte Herrmann auf der Schlussrunde ihre läuferische Qualität und baute ihren Vorsprung aus. Gold war ihr dadurch nicht mehr zu nehmen. Chevalier-Bouchet zauberte ebenfalls eine schnelle letzte Runde in den Schnee und landete schließlich 9,4 Sekunden hinter der Deutschen. Alimbekava konnte im letzten Durchlauf das Tempo nicht halten, sodass Olsbu Roeiseland ihren Bronzerang verteidigte.
Olsbu Roeiseland räumte nach dem Rennen ein, dass Startnummer 1 etwas Unbehagen bei ihr auslöste: „Ich war etwas nervös, als ich gestern die Startliste sah. Aber am Ende geht es über 15 km und da ist man sowieso auf sich allein gestellt. Ich habe mein Bestes gegeben. Zum Glück konnte ich einige Runden zusammen mit Tiril Eckhoff laufen, das hat mir sehr geholfen. Vor allem in der letzten Runde konnte ich mich an ihre Fersen heften. Bei 1,4 Sekunden Vorsprung auf Rang vier hat das vielleicht den Unterschied ausgemacht. Daher gilt mein Dank auch ihr.“
In Bezug auf die Bedingungen am neuen Austragungsort in China sagte die Norwegerin: „Nicht nur die Strecke ist schwierig, sondern auch der Schießstand. Man kommt erschöpft an und die Konzentration leidet. Ich habe versucht, den Fokus nur auf mich und meine Schießeinlage zu richten. Das ist mir ganz gut gelungen, obwohl ich mit dem letzten Schuss im letzten Anschlag hadere. Da habe ich zu viel nachgedacht. Im Sprint möchte ich es besser machen.“
Chevalier-Bouchet hochzufrieden
Chevalier-Bouchet mit der Mixed-Staffel am Samstag Silber gewann, war sie aufgrund ihrer fünf Nachlader und einen Strafrunde im Stehendanschlag von ihrer Leistung enttäuscht. Im heutigen Einzel lief es für sie bedeutend besser: „Mit meinem Staffelrennen war ich überhaupt nicht zufrieden. Aber über meine Einzelmedaille heute kann ich mich richtig freuen! Vor dem Rennen war ich ziemlich entspannt. Und wenn ich entspannt bin, kann ich den Biathlon zeigen, den ich liebe: gut und schnell schießen, gut und schnell laufen. Heute war ich ganz bei mir. Es hat funktioniert und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Für Peking hatte ich mir je eine Medaille mit der Staffel und eine im Einzel auf die Fahnen geschrieben. Dieses Ziel habe ich nun schon nach zwei Starts erreicht. Jetzt kann ich frei und ohne Druck in die nächsten Wettkämpfe gehen. Das ist perfekt.“
Fotos: IBU / Christian Manzoni