30 Jahre IBU: Am Schießstand mit Siegfried Mazet

Siegfried Mazet, der Mann am Glas, der die Franzosen Vincent Jay und Martin Fourcade zu olympischem Gold führte und den Norwegern Johannes Thinges Bö und Co einen wahren Goldmedaillenreigen bescherte, ist seit den Anfängen der IBU im Sport aktiv, erst als Athlet und seit inzwischen über 16 Jahren als der möglicherweise beste Schießtrainer im Biathlon weltweit.

Umdenken

Als Mazet im Jahr 2016 von der französischen Mannschaft nach Norwegen wechselte, war seine neue Aufgabe ein zweischneidiges Schwert: Die Biathleten dort waren überaus erfolgreich, aber im Kern herausragende Skilangläufer, bei denen der Schießstand eher ein Nebenschauplatz war. Die Herausforderung war, sie zum Umdenken zu bewegen, sie dazu zu bringen, wie Biathleten zu denken. „Es hat lange gedauert, die Einstellung dort zu ändern. Jetzt, nach den letzten drei oder vier Saisons habe ich das Gefühl, dass dort auch im Kopf jetzt eine Biathlon-Kultur herrscht. Es war wichtig, dass sie das Gesamtbild sehen. Natürlich muss man schnell laufen und gut schießen. Es ist nicht nur die Kombination, sondern die Mischung von beidem. Wenn man erfolgreich sein will, muss man seinen Gegner beobachten und sehen, wozu er imstande ist. Es gibt viele verschiedene Faktoren, die man berücksichtigen muss. Man muss sich überlegen: ‚Okay, jetzt kann ich dieses gut, aber darin muss ich besser werden.‘ Man braucht diesen taktischen Ansatz für jeden Wettkampf. Das war bei der Arbeit mit den Jungs sehr wichtig.“

Evolution im Biathlon

Dieses Gesamtbild ist für Mazet ein Leitbild gewesen, seitdem er im IBU Cup angetreten ist und dann in den frühen Tagen der IBU als Trainer aktiv wurde. Zur Frage, wie sehr sich der Sport verändert hat, sagt er: „Skitechnik, Material und Schießgeschwindigkeit haben sich weiterentwickelt. Wenn man 15 - 20 Jahre zurückschaut, war man da noch konservativer, erstmal die Scheiben treffen. Jetzt gehen Athleten wie meine Jungs und Emilien Jacquelin mehr Risiken ein, schießen schnell und aggressiv und setzen andere damit unter Druck. Das mag ich vor allem im Massenstart, in der Verfolgung und den gemischten Staffeln, das ist echt spannend! Ich bin sehr froh, dass die IBU mehr von diesen Formaten anbietet. Natürlich brauchen wir die traditionellen Disziplinen Sprint und Einzel, aber die anderen Rennen sind die wahre Show. Das ist es, was die Leute lieben, 45 Minuten Show und alles spielt sich am Schießstand ab. Das ist die eigentliche Evolution im Biathlon.“

Mazet glaubt, dass Events wie das Martin Fourcade Nordic Festival für die Zukunft tonangebend sind. „Mir gefällt Martins Festival als Show, das ist schnell und für Fans zugänglich. Das ist einer der Schlüsselfaktoren für die Entwicklungen im Sommer.“

Lektion von Raphael Poirée

In den frühen 90ern trainierte Mazet mit der französischen Legende Raphael Poirée und lernte eine wichtige Lektion, die er nie vergessen hat. „Daran erinnere ich mich sehr gut. Raphael sagte: ‚Jede Trainingseinheit ist ein Rennen und jedes Rennen ist eine Trainingseinheit. Genau so ist das. Wenn man trainiert, als wäre es ein Rennen, dann wird man besser.‘ Viele Athleten fragen mich, wie sie sich verbessern können, und wenn ich ein bisschen nachfrage, finde ich heraus, dass sie sich im Training so anders verhalten als im Rennen. Wenn man eine Startnummer überzieht und sich anders verhält als im Training, wird man jedes Mal versagen.“

Mentoren: „Wenn sie etwas sagten, waren es immer die richtigen Worte“

Auch wenn er seinen grundlegenden Leitsätzen treu ist, hat der 45-Jährige sich während seiner Laufbahn genau so weiterentwickelt wie Biathlon selbst. „Ich bin heute als Trainer ganz anders als noch vor 10 Jahren. Wenn Martin oder Simon (Fourcade) sehen könnten, wie ich Johannes oder Tarjei trainiere, wären sie überrascht, wie anders ich heute bin.“

Trotzdem hat er einen Großteil seiner Trainer-Kompetenzen vor fast 20 Jahren von seinen französischen Kollegen erlernt. „Ich muss sagen, mein Mentor war Jean Paul Giachino (Schießtrainer der französischen Frauen). Als ich bei den französischen Männern angefangen habe, waren sowohl er als auch Stephane (Bouthiaux) sehr erfahren. Ich habe von beiden gelernt, aber überwiegend von Jean Paul. Sie waren meist ruhig, aber wenn sie etwas sagten, waren es immer die richtigen Worte. Man muss anderen zuhören und darf nie vergessen, was die Vorgänger gesagt haben.“

„Mehr Chancen zu verlieren als zu gewinnen“

Wie in vielen Berufen lernt man auch als Trainer immer noch dazu, schnappt Neues auf, wird besser, und verabschiedet sich manchmal von alten Konzepten. Trotzdem sagt der stets umgängliche Mazet, er sei sich als Person immer treu geblieben. „Ich glaube nicht, dass ich mich im Laufe der Jahre verändert habe oder jetzt anders bin als damals. Natürlich habe ich mehr Erfahrung. Ich habe heute als Trainer immer noch dieselbe Philosophie wie damals. Ich sehe das für andere Sportarten genauso, und insbesondere für meinen Sport Biathlon. Ich liebe den Sport, oder mag ihn zumindest sehr gern, und andere Menschen spüren das. Meine Philosophie seit dem allerersten Tag, ist dass man an seinen Gegnern wächst. Manchmal verliert man, und dann wächst man daran. Wenn man bei sportlichen Wettkämpfen antritt, muss man sich klar machen, dass man mehr Chancen hat zu verlieren als zu gewinnen.“

Das größte Talent aller Zeiten?

Siegfried Mazet hat im Laufe seiner Karriere mit drei Biathlon-Legenden gearbeitet, die die ganze 30-jährige Geschichte der IBU abdecken: Martin Fourcade, Ole Einar Björndalen und jetzt Johannes Thinges Bö. Wenn man ihn fragt, wer sein talentiertester Schützling ist oder war, sagt er: „Sturla (Holm Lägreid) ist zum Beispiel sehr talentiert. Johannes ist talentiert, aber auf eine ganz andere Art als er oder Vetle (Sjaastad Christiansen) oder Tarjei (Bö). Ich denke auch an Martin, der im Stehendanschlag so talentiert war, aber mit dem Liegendschießen so zu kämpfen hatte. Quentin (Fillon Maillet) hat nichts geschenkt bekommen, mit Talent für harte Arbeit, aber kein Naturtalent. Was die Arbeitsmoral angeht, würde ich Sturla, Quentin und Martin nennen, die haben alle hart gearbeitet, um auf ein hohes Niveau zu gelangen. Was natürliches Talent angeht, ist es ohne Frage Johannes Thinges Bö. Es gab einen Moment in seiner Karriere, da hatte Johannes mehrere Monate nicht an der Waffe trainiert und hat sich bei mir dafür entschuldigt, dass er nicht geschossen hat. Und am ersten Tag im Trainingslager hätte man es nicht gemerkt. Er war so gut, das ist eben natürliches Talent.“

Mit dem Status quo nie zufrieden

Auch nach all den Erfolgen im Laufe der Jahre ist Mazet nie mit dem Status quo zufrieden. „Ich habe das den Jungs in unserem ersten Trainingslager dieses Jahr gesagt. Wir hatten eine Supersaison, aber die ist jetzt vorbei. Die anderen werden sich wieder vorbereiten, die werden Dinge verändern und Dinge ausprobieren. Vielleicht klappt es, vielleicht nicht. Ich sehe diese jungen Typen wie (Niklas) Hartweg und (Tommaso) Giacomel und weiß, die werden Erfolg haben. Man wird uns angreifen, wir müssen auf alles vorbereitet sein, aber das ist gut. Ich freue mich auf einen guten Kampf!“

Fotos: IBU/Christian Manzoni, Igor Stančík, Björn Reichert

Teile die News!

Header iconAbonniere unseren Newsletter