Doch seltsamerweise war niemand wirklich überrascht. Braisaz-Bouchet ist von Natur aus schüchtern und verrät nicht viel über ihr Privatleben. Sie lässt lieber Taten sprechen und postete die Ankündigung ihrer Schwangerschaft auf Instagram. „Meine Persönlichkeit hat zwei Seiten: Ich kann sehr schüchtern sein, aber im Familien- und Freundeskreis gehe ich aus mir heraus… Daher habe ich mein Geheimnis bis jetzt bewahrt. Ich wollte abwarten und die Zeit mit meiner Familie genießen… Es war das Einfachste, es einfach auf Instagram zu posten. Ich habe diesen Weg gewählt, weil ich wusste, dass es in Annecy unzählige Fragen regnen würde. Die Organisatoren fragten mich, ob ich es per Mikrofon ankündigen wollte. Ich sagte: ‚Nein, nein. Ich schreibe es einfach auf Instagram.‘ Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich vor vielen Menschen sprechen muss.“
Dieser Herbst und Winter werden eine neue Erfahrung für die Olympiasiegerin von 2022 darstellen. „Ich habe ein bisschen im Sommer trainiert, werde mich jetzt aber ausruhen, in meiner Freizeit einige Trainingseinheiten absolvieren und die Zeit mit meiner Familie genießen. Ich habe sie in den vergangenen zwei Jahren kaum gesehen. Ich werde aber meine Biathlonkarriere weiterverfolgen und im November 2023 wieder in den Weltcup einsteigen… (Die Schwangerschaft) war geplant. Mein Mann und ich haben uns dazu gleich nach Olympia entschieden. Ich habe darüber nachgedacht. Ich war fast acht Jahre lang im Weltcup. Wenn ich bis zur nächsten Olympiade weitermachen wollte, brauchte ich eine Pause.“
„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich tun konnte, was ich wollte. Aber jetzt bin ich komplett frei zu trainieren, wann und wo ich will. Ich habe mit 14 ernsthaft angefangen zu trainieren (und habe viel in meiner Teenagerzeit verpasst). Die Jahre sind schnell vergangen. Es ist, als wäre ich wieder ein Teenager!“
Die Goldmedaille im Februar war vielleicht überraschend für viele, die auf eine Siegerin aus Norwegen, Deutschland oder Schweden gesetzt hatten, aber nicht für die Französin selbst. Was sie überraschte, waren ihre Emotionen. „Im Ziel war es kein wirklicher Schock. Ich dachte: ‚Ich hab’s geschafft‘. Nicht die Reaktion, die ich erwartet hatte. Bei den ersten Schießeinlagen lag ich eine Minute zurück und habe das Rennen nicht allzu ernst genommen. Ich wolle einfach jeden Moment genießen. Das Szenario war einfach unglaublich mit dem Wind und allem. Als ich nach Peking reiste, hätte ich nie mit Plätzen in den 40ern gerechnet (Rang 40 über 15 km, Rang 48 im Sprint). In diesen Rennen habe ich mich genauso gefühlt wie in meinem Goldrennen. Ich habe einfach mein Ding durchgezogen. Ich war sehr glücklich. Ich wusste, ich konnte gute, aber auch schlechte Sachen abliefern. Das Gefühl (Gold zu gewinnen) war anders, als ich erwartet hatte. Ich habe den ganzen Sommer über trainiert und an die Olympischen Spiele gedacht. Manchmal hatte ich Tränen in den Augen. Ich wollte in Peking etwas erreichen, aber als ich das geschafft hatte, war ich ziemlich ruhig und weniger emotional als gedacht.“
Braisaz-Bouchet beschreibt sich selbst als Optimistin. Sie war sich ziemlich sicher, dass der olympische Massenstart etwas Besonderes für sie werden würde. „Andere hätten diese Leistung nicht von mir erwartet, aber das hat mir nichts bedeutet. Es ist der Glaube, der zählt. Am Tag des Massenstarts bin ich aufgewacht und dachte, dass ich Glück hatte, zum zweiten Mal bei Olympia dabei zu sein. Ich wollte unglaublich gern diesen Massenstart laufen. Es ist verrückt: Ich hatte einen unglaublichen Willen für dieses Rennen. Ich war sehr konzentriert und habe mich um niemanden geschert. Ich war komplett bei mir und meinem Rennen, ein starkes Gefühl... Genau wie in den anderen Rennen, die nicht so gut gelaufen sind. Aber ich wusste, dass ich es schaffen konnte."
Hatte sie ihre eigenen Erwartungen übertroffen? „Sicherlich… Das hatte ich nicht erwartet. Ich wusste, ich hatte gute Skier, war gut in Form – wie schon den ganzen Winter über – und konnte gut schießen… Ich musste nur die kleinen Details im Rennen hinbekommen: meine Gefühle und meine Konzentration. Manchmal trainiere ich zu viel am Schießstand und meine Waffe mag das nicht!“
Für viele Athleten verändert eine olympische Goldmedaille das Leben. Doch Braisaz-Bouchet ist unverändert. „Ich bin dieselbe wie zuvor. Ziemlich ausgeglichen. Ich glaube an mich im Biathlonsport. Es gibt sehr viele großartige Biathleten. Man muss sich in jedem Rennen gegen sehr viele Mädels durchsetzen, um auf dem Treppchen zu stehen. Ich sehe mich selbst als ihnen gleichgestellt an. Ich weiß, wer ich bin… Ich weiß, was mir gut tut und was nicht. Es entspricht meiner Persönlichkeit nicht, viel in den sozialen Medien zu sein, zu sichtbar zu sein. Das bin ich nicht. Im Frühling habe ich einige Zeit bei meinen Eltern auf ihrem Bauernhof in den Bergen verbracht. Vor kurzem habe ich auch meine Großeltern in Großbritannien besucht. Nichts hat sich verändert und das mag ich!“
Während sie nun auf ein lebensveränderndes Ereignis wartet, arbeitet Justine Braisaz-Bouchet an einer anderen Sache in seinem Leben. „Ich verbessere das Zusammenleben mit meinem Ehemann. Ich bin sehr unordentlich. Ich kann ziemlich faul sein. Es ist genau das Gegenteil. Also versuche ich, mich zu bessern und diese Eigenschaften zu ändern… Ich weiß, dass er sich freuen wird, wenn er das liest!“
Fotos: IBU/Christian Manzoni, Justine Braisaz-Bouchet, Jerry Kokesh