„Ich hatte Glück im Unglück ... ich war froh, dass ich noch am Leben war und auf meinen eigenen zwei Beinen stehen konnte. Ich versuche immer, die Dinge positiv zu sehen. Wenn man am Auto einen platten Reifen hat, sind ja drei noch intakt, also warum dann über einen platten Reifen klagen?“ Das fasst die Einstellung des 21-Jährigen zum Leben und zum Biathlon ganz gut zusammen.
Er kommt aus einer sportverrückten Familie, und sein älterer Bruder und er „haben alles ausprobiert: Leichtathletik, Skispringen, und als er dann mit Biathlontraining anfing, war ich neun und wollte auch mitmachen. Jetzt liebe ich Biathlon. Das ist der beste Sport der Welt!“ Invenius hat allerdings auch noch eine Schwäche für eine andere Sportart, und dort ein Idol mit einem ähnlich sonnigem Gemüt wie seines: „Ich bin ein großer Fußballfan. Mein Lieblingsspieler ist N'Golo Kanté, der bei Chelsea spielt. Er ist immer fröhlich und bescheiden.“
Zu Invenius‘ frühesten Biathlon-Erinnerungen gehört sein erster Sieg, in Kontiolahti, wo er nun nach einem Umzug nach Joensuu trainiert. „Ich war an dem Tag krank. Ich war der Kleinste im ganzen Massenstart-Feld. Ich war der beste Schütze im Feld. Auf der letzten Runde lag ich eine Minute zurück und habe den Führenden auf der Ziellinie eingeholt. Daran muss ich immer noch ständig denken. Ich habe damals Biathlon und Langlauf trainiert, aber in dem Moment habe ich mich in den Biathlon verliebt.
Wir springen zu den Offenen Junioren-Europameisterschaften der IBU in Pokljuka im letzten Winter. Invenius gewinnt Sprintsilber hinter dem tschechischen Ass Jonas Marecek und holt im Verfolger erneut Silber. „Ich hatte noch in keinem Sommer so hart trainiert und wusste, dass die Saison Potential hat. Zwei Medaillen zu gewinnen hat mein Selbstvertrauen gestärkt, aber es war eben Silber und nicht Gold. Die werden aber sicherlich auch noch kommen.“
Dieses neugewonnene Selbstvertrauen trug ihn auch durch die IBU JJWM in Soldier Hollow, wo er mit fehlerfreiem Schießen und nur acht Sekunden Rückstand auf den Norweger Martin Nevland erneut Silber im Sprint gewann. „Das war mein absolut bestes Rennen überhaupt. Ein großartiges Gefühl. In dem Moment hatte ich den Gedanken im Kopf, dass ich jetzt in der norwegischen Staffel sein könnte! Natürlich will ich Nevland nächstes Mal schlagen. Mit den Norwegern verbindet uns eine enge Freundschaft. Ich sehe da keine Rivalitäten. Ich wünsche allen, dass sie ihre beste Leistung abrufen können und glücklich aus dem Rennen gehen!“
Invenius‘ erfolgreiche Saison brachte ihm für die bevorstehende Saison einen Platz im finnischen A-Kader ein, und er hat große Hoffnungen. „Unser neuer Nationaltrainer hat mir ein paar Tipps gegeben, die ich noch nicht gehört hatte. Ich glaube, das wird eine tolle Zeit mit ihm ... Das ist für mich eine Chance, über mich hinauszuwachsen. Mein größtes Ziel ist, mit einer finnischen Staffel auf dem Podest zu stehen. Das will ich einmal erleben.“
Neben der Medaille und dem Aufstieg in den A-Kader verdiente sich Invenius auch seine ersten BMW IBU Weltcup-Starts in Oslo (55. im Sprint, 48. in der Verfolgung). „Das war grandios. Ich habe mich gefühlt wie ein kleiner Junge im Süßwarenladen, wie ich da von meinen ganzen Idolen umring war ... Es war gut, dass ich vor dem ersten Rennen ein paarmal trainieren konnte, danach konnte ich dann die Atmosphäre, die Zuschauer und das alles genießen. Ich habe dort viel gelernt: Bescheiden zu bleiben, weil ich noch nicht wirklich irgendetwas erreicht habe, und weiter hart zu arbeiten. Diese Jungs da sind so viel konstanter in ihrer Laufleistung und beim Schießen, da habe ich noch viel aufzuholen.“
Aufholen bedeutet, dass der junge Finne sich ins Zeug legen muss, vor allem am Schießstand: Der Sprint in Soldier Hollow ist nach wie vor seine erste fehlerfreie Leistung in über 5 Jahren internationaler Wettkämpfe. „Fortschritte sind beim Laufen leichter zu erreichen als beim Schießen. Ich mag die körperliche Anstrengung. Es ist gut, dass wir jetzt (Trainer) Erik (Bartlett Kulstad) haben, der mir mit dem Schießen helfen kann. Momentan hänge ich noch in beiden Bereichen hinterher, da muss ich mich jetzt reinknien und weiterarbeiten. Und konzentriert schauen, wo ich hinlaufe. Ich brauche definitiv nicht noch einen Unfall!“
Auch wenn er in Oslo viele seiner Biathlon-Idole persönlich kennenlernen konnte, gesteht Invenius: „Martin Fourcade ist mein größtes Idol, mit seiner Haltung, seiner Zielstrebigkeit und dem absoluten Willen, sich immer noch weiter zu verbessern. Mit das Tollste an ihm war, dass er für die französische Mannschaft große Ziele hatte. Mir gefällt, dass er sich als Teil einer Mannschaft sieht, in der man sich gegenseitig antreibt und den Nachwuchs unterstützt und inspiriert.“
Jenseits des Sports ist Invenius ein großer Fan von Freddie Mercury, weil er „sein ganz eigener Mensch war und nichts auf die Meinung anderer gegeben hat. Deswegen bleibe ich auch bei meinen langen Haaren, die sind auch ziemlich einzigartig!“
In Invenius‘ Leben dreht sich nicht alles um Biathlon. „Ich spiele ein bisschen Gitarre und sammle Sachen wie Pokémon-Karten und sowas, wie so ein Nerd.“ Aber wenn er mal einen Tag trainingsfrei hätte, würde er „rausgehen, die Sonne genießen, gute Musik hören und Zeit mit meiner Freundin verbringen. Ich bin gerne mit ihr zusammen ... Manchmal habe ich das Gefühl, als Athlet hat man nie Zeit, mal den Kopf freizukriegen und einen Tag lang einfach abzuschalten. Das wäre traumhaft.“
Der Schlüssel zu Otto Invenius‘ Biathlon-Erfolg ist wohl vor allem seine Persönlichkeit. Er beschreibt sich als „positiv und aufgeschlossen“, und sagt weiter: „Ich mache mir nicht so gern ständig Sorgen über alles. Mein Lieblingssong ist „Let It Be“ von den Beatles. Den höre ich, wenn es mal schwierig wird oder ich ein bisschen traurig bin. „Ich bin ein ziemlich zufriedener Typ.“
Fotos: IBU/Björn Reichert, Otto Invenius