Norweger nach starkem Comeback Staffel-Olympiasieger

Vetle Sjaastad Christiansen trumpfte am Ende groß auf: Dank seiner zehn sauberen Treffer führte Norwegens Schlussläufer bei der olympischen Männerstaffel über 4 x 7,5 km trotz 43 Sekunden Rückstand beim Wechsel sein Team in 1:19:50,2 Stunden noch zu Gold. Das norwegische Quartett um Christiansen, Sturla Holm Laegreid, Tarjei Boe und Johannes Thingnes Boe verbuchte am Ende eine Strafrunde und sieben Nachlader. Das genügte, um die bis dato souverän führende ROC-Staffel um Schlussläufer Eduard Latypov, der sich beim letzten Schießen zwei Strafrunden einhandelte, noch zu überflügeln. Mit diesem Erfolg sicherten sich die Norweger ihr erstes olympisches Staffelgold seit 2010. Auch damals ging Tarjei Boe auf Position zwei ins Rennen. Schlussläufer Christiansen feierte hingegen bei seiner ersten Olympiateilnahme gleich sein erstes Edelmetall. Silber ging am heutigen Tag an die französische Staffel, die neun Extrapatronen benötigte und 27,4 Sekunden hinter dem Sieger ins Ziel kam. Damit sicherte sich Quentin Fillon Maillet bereits seine fünfte Medaille bei diesen Spielen – dies gelang in der Olympiageschichte noch keinem anderen Biathleten. Frankreichs Startläufer Fabien Claude freute sich über sein erstes olympische Edelmetall. Auf dem Bronzerang beendete die ROC-Staffel das Rennen. Zwei Strafrunden und sechs Nachlader bedeuteten am Ende 45,3 Sekunden Rückstand. Said Karimulla Khalili und Maksim Tsvetkov gewannen damit ihre erste olympische Medaille.

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Christiansen von Defensive auf Angriff

Christiansen sah sich bei seinem Auftritt einer eigenartigen Ausgangslage gegenüber und wechselte beim letzten Stehendschießen die Taktik: „Trotz der komischen Situation bin ich ruhig geblieben. Ich dachte, drei Teams würden nur noch um Silber und Bronze kämpfen. Wir wollten unbedingt aufs Treppchen, das war unser Ziel. Der Druck war enorm. Als wir zum letzten Mal an den Schießstand kamen, haben wohl alle drei von uns gemerkt, dass Latypov vier Scheiben verfehlte. Daraufhin bin von Defensive voll auf Angriff gegangen – plötzlich ging es wieder um Gold und wir hatten auf einmal die Chance, ganz oben auf dem Podium zu stehen. Daran hätte vor dem letzten Schießen niemand mehr geglaubt. Ich war völlig im Tunnel und bin überglücklich, dass uns dieses Comeback gelungen ist.“

Rang vier ging mit neun Nachladern und einer Strafrunde bei einem Rückstand von 1:04,3 Minuten an Deutschland. Schweden erkämpfte nach 13 Nachladern und einer Strafrunde den fünften Platz (1:49,4 Minuten zurück). Dahinter verbuchte die Staffel aus Kanada mit neun Nachladern, zwei Strafrunden und 1:56,3 Minuten Rückstand mit Rang sechs ihr bestes Ergebnis bei Olympischen Spielen.

Extreme Kälte beim Start

Da die Wetterprognosen extrem kalte Temperaturen vorhersagten, wurde der Start der Männerstaffel um 2,5 Stunden nach vorn verlegt. Doch selbst zu vorgezogener Zeit zeigte das Thermometer frostige -15 °C an. Dazu wehte bei strahlendem Sonnenschein etwas Wind. Die Strecke war indes stumpf und extrem langsam. Nach dem ersten Liegendanschlag verließen trotz einiger Böen zwölf Teams den Schießstand innerhalb von 11 Sekunden, angeführt von der Schweiz. Sie alle hatten ihr Gesicht mit Kinesiotape abgeklebt, um sich vor der eisigen Kälte zu schützen. Acht Mannschaften blieben gänzlich ohne Nachlader, vier mussten nur eine Zusatzpatrone bemühen. Direkt nach Verlassen des Stadions setzte sich Sturla Holm Laegreid bis zum ersten Stehendanschlag an die Spitze des Feldes. Dort feuerte Said Karimulla Khalili seine Patronen bei einem Nachlader am schnellsten ab, während die meisten Verfolger mehrere Extrapatronen benötigten. Hinter der führenden ROC-Staffel folgten die Ukraine, Belarus und Frankreich innerhalb von 2 Sekunden. Laegreid handelte sich eine Strafrunde ein und rangierte 39 Sekunden hinter der Spitze auf dem 13. Rang.

ROC in Führung

Beim ersten Wechsel übergab Khalili an Alexander Loginov, fast zeitgleich dahinter folgte Belarus. Mit 7,8 Sekunden Rückstand ging Emilien Jacquelin für Frankreich als Dritter ins Rennen. Laegreid kämpfte sich unterdessen auf Position sieben nach vorn und schickte Tarjei Boe 40 Sekunden hinter Loginov auf die Reise. Der erfahrene ROC-Starter gab vorne den Takt an und zeigte ein schnelles und souveränes Liegendschießen. Auf Rang zwei folgte Belarus mit Lazouski, 22 Sekunden hinter der Spitze kam Jacquelin (ein Nachlader). Tarjei Boe räumte alle fünf Scheiben ab und verließ den Schießstand mit einer Minute Rückstand als Achter. Als Loginov zu seinem Stehendanschlag kam, ließ der Wind zwar etwas nach, doch der ROC-Starter benötigte zwei Nachlader, um seine Führung zu behaupten. Jacquelin traf alle fünf Scheiben auf Anhieb und verkürzte den Rückstand bis zum zweiten Wechsel so auf 17 Sekunden. Dahinter mussten die Konkurrenten einige Male nachladen, sodass Belarus als Dritter mit 59 Sekunden Rückstand zum Wechsel kam, dicht gefolgt von Italien.

JT schlägt zurück

Nach dem zweiten Wechsel ging Tsvetkov (ROC) 36 Sekunden vor Simon Desthieux (Frankreich) auf die Strecke. Dahinter folgten zeitgleich Maksim Varabei für Belarus und Lukas Hofer für Italien. JT Boe übernahm den Staffelstab als Sechster mit 1:47 Minuten Rückstand. An der Spitze kam Tsvetkov allein zum Liegendanschlag und stellte alle fünf Scheiben auf Weiß. Da Desthieux zweimal nachladen musste, baute die ROC-Staffel ihren Vorsprung auf 48 Sekunden aus. Dahinter folgten Belarus sowie Deutschland mit Benedikt Doll (1:03 bzw. 1:16 Minuten zurück). JT hatte Probleme beim Nachladen und wies einen Rückstand von 1:52 Minuten zum Führenden auf. Auch im stehenden Anschlag ging Tsvetkov behutsam zu Werke, versenkte jedoch alle fünf Projektile zielsicher. Desthieux benötigte erneut einen Nachlader und ging 58 Sekunden hinter dem ROC-Mann zurück in die Loipe. Doll schob sich trotz einer Extrapatrone auf Rang drei. Nach einer phänomenalen Laufzeit folgte nur 5 Sekunden dahinter bereits JT Boe auf Rang vier, der stehend zudem eine saubere Schnellfeuereinlage zeigte. Vor dem letzten Wechsel verringerten Doll und JT die Lücke zu Desthieux auf weniger als 2 Sekunden, wobei Norwegen auf Position drei übergab.

Latypov zittert, Christiansen zaubert

Bei den Schlussläufern übernahm Latypov 41 Sekunden vor Fillon Maillet. Dicht dahinter lagen Christiansen und Philipp Nawrath (43 bzw. 43,9 Sekunden zurück). Gold schien zu diesem Zeitpunkt vergeben, sodass Frankreich, Norwegen und Deutschland wahrscheinlich nur noch um Silber und Bronze kämpfen würden. Kurz vor dem liegenden Anschlag setzte sich Fillon Maillet an die Spitze des Trios. Vorn lief Latypov weiter unangefochten sein eigenes Rennen und versenkte bei seinem Liegendanschlag alle fünf Patronen souverän. Dahinter ging Christiansen nach fünf perfekten Schuss als erster Verfolger zurück auf die Strecke, während Nawrath und Fillon Maillet je einen Nachlader benötigten und 3 bzw. 12 Sekunden hinter den Norweger zurückfielen. Vor dem abschließenden Stehendschießen hatte der zweifache Olympiasieger von Peking den Rückstand aber wieder herausgelaufen. Vorn kam Latypov ohne jeden Druck zum Schießstand. Er nahm sich viel Zeit, verfehlte allerdings gleich vier Scheiben, während seine Rivalen ins Stadion einliefen. Der ROC-Athlet hatte sichtlich weiche Knie und musste letztlich zweimal in die Strafrunde, während Christiansen die Gunst der Stunde nutzte und sich nach weiteren fünf blitzsauberen Treffern 21 Sekunden vor Fillon Maillet an die Spitze setzte. Latypov folgte mit 40 Sekunden Rückstand als Dritter.

Gold für Norwegen

Auf den letzten 2,5 Kilometern ließ Christiansen nichts mehr anbrennen und hielt Fillon Maillet sowie Latypov auf Abstand. Beim Überqueren der Ziellinie freute sich Norwegens Schlussläufer überschwänglich über Gold.

Erste französische Staffelmedaille seit 2006

Simon Desthieux erzählte, wie bedeutend diese Silbermedaille für das französische Team ist: „Heute war es anders als bei den übrigen Rennen. Wir lieben die Staffel. Frankreich konnte bei den letzten drei Olympischen Spielen keine Staffelmedaille gewinnen, das wollten wir heute unbedingt ändern. Im Ziel war ich überglücklich, Teil dieses Teams sein zu dürfen.“ Zum spannenden Dreikampf mit Norwegen und Deutschland ergänzte er: „Im Rennen war ich die meiste Zeit allein, aber so ist das manchmal als dritter Starter. Ich habe alles gegeben, um den Rückstand nach vorn nicht größer werden zu lassen, doch Maksim Tsvetkov war heute richtig stark und ist ein richtig guter Schütze. Johannes and Benni Doll waren ebenfalls extrem gut unterwegs. Mein Ziel war es, Quentin den größtmöglichen Vorsprung mit auf den Weg zu geben.“

Khalilis Medaillentraum wird wahr

Für ROC-Startläufer Khalili erfüllte sich mit dem Gewinn der Bronzemedaille ein langjähriger Traum: „Ich habe davon geträumt, eine Medaille zu gewinnen. Mit meinem Rennen heute bin ich sehr zufrieden. Wir wussten, dass Norwegen und Frankreich richtig stark sind. Daher müssen wir zufrieden sein, uns mit ihnen das Podium zu teilen. Es war wichtig, gut ins Rennen zu starten. Norwegen und Deutschland hatten ein paar Probleme am Schießstand, also habe ich die Chance genutzt, um davonzuziehen. So konnte ich einen Vorsprung für unser Team herauslaufen. Ich war sehr nervös, das Rennen anschließend als Zuschauer zu verfolgen.“ Zum Einbruch seines Teamkollegen Latypov meinte er: „Ich habe Eduard gesagt, dass so etwas im Biathlon immer passieren kann. Viele wollten heute aufs Podium, wir haben es geschafft. Also ist alles okay.“

Fotos: IBU/Christian Manzoni

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