Wir springen zum Weltcup in Oslo 2022. Die Slowakin dachte schon über einen Rücktritt nach, als sie plötzlich am 19. März zwanzig von zwanzig Scheiben im Verfolger der Frauen traf und nach über zwei Jahren endlich wieder auf dem Podium stand. Rückblickend auf das Rennen sagt sie: „Ich kann mich nicht an die letzte Runde erinnern, nur ans letzte Schießen. Am Tag zuvor hatte ich im Sprint die letzte Scheibe im letzten Schießen stehen lassen. Im letzten Stehendschießen dachte ich mir also, das mache ich nicht noch mal ... und habe kurz gezögert, bevor ich abgedrückt habe. Aber ich wusste, dass ich ruhig bleiben musste, lieber langsamer als zu schnell arbeiten. Ich hatte es unter Kontrolle, war auf jeden Schuss konzentriert, habe alle Scheiben getroffen. Als das geklappt hat, war ich überglücklich. Danach erinnere ich mich an nichts mehr, aber ich glaube, das war mein bestes Rennen aller Zeiten. Ich war sehr stolz auf mich, weil ich die Pechsträhne beendet hatte.“ Fialkovas strahlendes Lächeln sprach für sich.
Um die Pechsträhne zu beenden, musste sie ihre innere Einstellung ändern. „Die zwei Jahre waren mit den Höhen und Tiefen wirklich hart. Aber eines Tages ist mir klar geworden, dass es im Leben nicht nur um Biathlon geht. Ich habe aufgehört, meine Lebensqualität an meinen Resultaten festzumachen. Ich bin ein glücklicher Mensch mit einer tollen Familie, und es geht nicht mehr nur um Resultate. ... Die Familie steht immer an erster Stelle, ich bin gesund, habe tolle Freunde und genieße mein Leben jenseits des Sports. Wichtig ist, dass ich diese Dinge angegangen bin, als es mir so schlecht ging, und dann daran gewachsen bin. ... Ich bin als Mensch definitiv stärker als noch vor zwei Jahren, vor allem mental.“
Dieser Podestplatz war nur ein Faktor bei der Entscheidung der inzwischen 30-Jährigen, mit dem Biathlon weiterzumachen. „Im Januar habe ich überlegt, was ich tun soll. Das Wichtigste (was gegen den Rücktritt sprach) war, dass ich die Dinge selbst in die Hand genommen hatte, meinen eigenen Trainingsplan erstellt hatte. Ich habe mich aus unserem System für die Saisonvorbereitung rausgezogen. Das hat funktioniert, und ich habe wieder angefangen, an mich zu glauben. Nach dem Resultat in Oslo habe ich die Chance bekommen, meinen eigenen Weg weiterzugehen, und die habe ich ergriffen. Ich genieße den ganzen Prozess wieder. In den letzten Jahren habe ich mich so sehr gepusht, dass ich vergessen habe, all die schönen Seiten zu genießen, die der Sport mit sich bringt, die Natur, die schönen Hotels, Wellness, all das. Das fällt mir jetzt leichter. Natürlich habe ich an manchen Tagen das Gefühl, dass ich nicht die Kraft habe, um weiterzumachen, aber an den meisten Tagen ist mir bewusst, dass es (das Leben als Athletin) nicht so schlecht ist!“
Auch wenn die Höhe bei der WM in Oberhof 2023 keine Rolle spielen wird, hat Fialkova in diesem Jahr wie viele andere viel Zeit an hochgelegenen Trainingsorten wie Antholz, Livigno, Passo Lavazè und Zakopane verbracht. „Ich mag Höhentraining und trainiere immer viel auf der Höhe. Ich habe dieses Jahr beschlossen, wieder zu dem Training zurückzukehren, mit dem ich erfolgreich geworden bin. Ich brauchte jemanden, an den ich glauben kann. Ich war ohne meinen alten Trainer Martin Bajicak etwas verloren, und einen Ersatz für ihn habe ich nicht gefunden. Also musste ich anfangen, an mich selbst zu glauben. Ich habe mir meine alten Trainingstagebücher angeschaut und Trainingslager geplant, die für mich gut funktionieren.“
Beim Thema Höhentraining erinnert sich Fialkova an den besten Trainingstag des Sommers. „Skiroller klassisch hoch zum Großglockner, das war Teil eines Trainingslagers in Obertilliach. Ich war allein, weil meine Schwester Rückenprobleme hatte. Ich war nur mit meinem Mann und dem Physio unterwegs. Schönes Wetter, nette Menschen, die mich unterwegs anspornen und es war nicht so schwer, wie ich es von vor acht Jahren in Erinnerung hatte. Ich habe danach Pizza gegessen und ein Bier getrunken und an der gleichen Stelle wie letztes Mal ein Foto gemacht. Es war so herrlich, aber vielleicht auch deswegen, weil es der letzte Tag des Trainingslagers war!“
Was die perfekte Erholung nach einem harten Trainingslager ist, darauf hat die 30-Jährige sofort eine Antwort parat. „Irgendwo mit Freunden am Strand liegen, etwas trinken und gute Musik.“
Dieser Tag in Österreich und ihre Auszeiten am Strand schaffen für Fialkova das Gleichgewicht, das sie braucht, um Tage wie den Verfolger in Oslo zu wiederholen: Eine Kombination aus hartem Training und Ablenkung durch die guten Dinge jenseits des Biathlons. „Ich muss körperlich gut in Form sein um eine Top-Athletin zu bleiben. Ich kann nicht gut schießen, wenn ich nicht gut in Form bin, aber ich muss außer Sport auch noch etwas anderes machen. Mir geht es besser, wenn auch für solche Dinge Zeit ist.“
Wenn sie auf die ersten neun Monate des Jahres 2022 zurückschaut, auf den Podestplatz in Oslo und die Bronzemedaille kürzlich bei der IBU SBWM, sagt sie: „Beim Biathlon weiß man nie. Ich bin als gute Athletin auf einem guten Niveau ins Jahr 2022 gestartet und werde hart daran arbeiten, das zu halten. ... Ich bin sehr streng mit mir. Ich bin schon immer streng mit mir gewesen und bin manchmal auch mit anderen streng. Aber ich versuche, dabei liebenswürdig zu bleiben. ... Was mein Privatleben angeht, ist es definitiv mein Jahr! Ich habe geheiratet und wir haben ein Grundstück gekauft und wollen ein Haus bauen. Da ist viel Gutes passiert.“
Es dürfte niemanden überraschen, wenn für Paulina Fialkova - oder wie wir sagen sollten, Paulina Batovska Fialkova - 2023 mindestens so gut wird wie 2022.
IBU/Christian Manzoni, Paulina Fialkova, Giulio Gasparin