Vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang hatte sich alles um die möglichen Duelle zwischen Martin Fourcade und Johannes Thingnes Boe gedreht, um Anastasiya Kuzminas dritte Goldmedaille im Sprint und Laura Dahlmeiers möglichen Goldregen bei den deutschen Damen. Aus dieser auserwählten Runde schafften es in den zwei Wettkampfwochen alle in die Schlagzeilen, doch fielen die nicht immer aus wie geplant. Wie bei allen Olympischen Winterspielen gab es auch diesmal Gold-Erfolge, überraschendes Silber (und Bronze) und ebenso viele Enttäuschungen.
Medaillen und Maries Gesangseinlage
Meist sind es die Bilder von Menschen mit Medaillen um den Hals, die der Welt von Olympischen Winterspielen in Erinnerung bleiben. Marie Dorin Habert wurde im Sprint der Damen Vierte, für sie eine Bestleistung in dieser Saison, doch kaum jemand bemerkte es. Ihre Gesangseinlage zur „Marseillaise“ auf dem Podest nach dem Olympiasieg mit der gemischten Staffel dürfte jedoch vielen noch lange im Gedächtnis bleiben. Der Medaillenspiegel spricht eine klare Sprache: Deutschland führt ihn mit dreimal Gold, einmal Silber und dreimal Bronze an, den zweiten Platz belegt Frankreich mit dreimal Gold und zweimal Silber und Schweden liegt mit zweimal Gold und zweimal Silber auf Platz drei, gefolgt von Norwegen mit einmal Gold, dreimal Silber und zweimal Bronze.
Jenseits der Zahlen
Die Zahlen erzählen allerdings nur ein Teil der Geschichte. Die stärksten Mannschaften haben den Großteil der Medaillen gewonnen. Die führenden Athleten im Weltcup waren wie erwartet erfolgreich: Bei den Damen haben acht aus den Top Ten auf dem Rückweg ein oder zwei Medaillen im Gepäck. Die große Ausnahme bildet Kaisa Mäkäräinen im gelben Trikot, deren beste Platzierung ein 10. Platz im Massenstart war. Bei den Herren lief es noch besser: Zehn der Top 13 (Shipulin trat nicht an) gewannen Medaillen. Und doch konnte Schweden, derzeit sowohl mit der Herren- als auch mit der Damenmannschaft auf Rang sieben der Nationenwertung, die derzeit in der Nationenwertung der Herren führenden Norweger schlagen. Die Deutschen führen momentan in der Nationenwertung der Damen, Medaillen gewinnen konnte aber nur Laura Dahlmeier, während die Herren, die hinter Norwegen und Frankreich liegen, vier Medaillen gewannen.
Goldene Glanzleistungen: Martin
Martin Fourcade, Laura Dahlmeier, Johannes Thingnes Boe, Anastasiya Kuzmina, Darya Domracheva und die schwedischen Herren gewannen allesamt Gold. Hier gab es keine Überraschungen... oder doch, denn Fourcade verfehlte im Sprint wie im 20 km Einzel mehrfach und hatte in der Herrenstaffel einen ungewöhnlich schlechten Tag, siegte aber in Verfolgung und Massenstart. Der Mann im gelben Trikot war nie so überragend wie man es aus dem BMW IBU Weltcup gewohnt war, konnte Sebastian Samuelsson in der Verfolgung nur um 12 Sekunden und Simon Schempp im Massenstart nur per Foto-Finish schlagen. Und dennoch bewies er wieder einmal seine Überlegenheit im Herrenfeld, krönte seinen Auftritt mit einer starken Leistung und Gold in der gemischten Staffel. Stress und Ermüdung holen bei den Winterspielen irgendwann alle ein, selbst den so unerschütterlichen Martin Fourcade. Nichtsdestotrotz kehrt er als der französische Athlet mit den meisten Medaillen bei Olympischen Winter- und Sommerspielen nach Hause zurück. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen...
Lauras Doppelgold
Dahlmeier schaffte es als erste Frau, beide Goldmedaillen im Doppel aus Sprint/Verfolgung zu gewinnen. In beiden Disziplinen dominierte sie laufstark und treffsicher die Konkurrenz. Im 15 km Einzel reichte es mit einem Fehler nicht mehr für einen Sieg gegen die fehlerfreie Hanna Oeberg und die schnellen Skier von Kuzmina. Mit einer soliden Leistung, zwei olympischen Titeln und einer dritten Medaille von denselben Spielen muss sich Laura Dahlmeier sicher nicht verstecken. Leider reichten zwar auch die guten Leistungen von Dahlmeier in den beiden Staffeln nicht aus, um für die Teams Medaillen zu sichern, auch die anderen Läufer hätten auf Draht sein müssen. Doch letzten Endes, auch wenn manch einer einen Durchmarsch wie in Hochfilzen erwartet hatte, sind Olympische Spiele eben etwas ganz anderes... und dafür hat sich diese 24-Jährige hervorragend geschlagen!
Johannes, auf der Strecke uneinholbar
Das Duell der Titanen Johannes und Martin kam so nie zustande. Beide hatte sich wohl schon bei den Zweikämpfen vor den Winterspielen verausgabt, und auch wenn sie immer noch das Maß der Dinge sind, waren beide doch bisweilen nicht zu hundert Prozent fit. Johannes‘ Auftritt bei seinem Olympiasieg im 20 km Einzel war allerdings überragend. Mit zwei Fehlern lag er am Ende immer noch vor Jakov Fak und Dominik Landertinger, die auch beide keine Sonntagsfahrer auf der Strecke sind. Wie so viele hatte Johannes mit den windigen Bedingungen am Schießen zu kämpfen, doch auf der Strecke blieb er uneinholbar. Wie bei Dahlmeier sind zweimal Staffelsilber plus einmal Gold eine ziemlich beeindruckende Leistung für einen 24-Jährigen!
Kuzmina: Dreimal Winterspiele, Drei Goldmedaillen
Kuzmina gewann mit 33 Jahren ihre dritte Goldmedaille bei ihren dritten Winterspielen. Diesmal siegte sie allerdings nicht im Sprint, sondern im Massenstart. Diese Frau war bestens auf die Spiele vorbereitet, hatte aber am Schießstand gewaltig zu kämpfen, bis im Massenstart endlich alle Scheiben mit Ausnahme der letzten fielen. Selbst mit wackligem Schießen reichte es für zweimal Silber in der Verfolgung und im 15 km Einzel. Die Medaille im 15 km Einzel war für sie die erste in dieser klassischen Biathlon-Disziplin. Nach Silber im Massenstart strahlte sie fast heller als das Flutlicht im Stadion.
Domracheva mit historischem Staffelgold
Domracheva fuhr mit dem Antholzer Massenstartsieg im Rücken nach Pyeongchang, doch im windigen Alpensia Biathlon Stadium patzte sie in Sprint, Verfolgung und 15 km Einzel. Kaum hatte der Wind nachgelassen, setzte sie im Massenstart 19 von 20 Schuss ins Schwarze und war mit Silber wieder auf Kurs. Das Beste kam allerdings noch, als diese Frau, die vom 22. März 2015 bis zum 6. Januar 2017 keinen Fuß in ein Biathlon-Stadion gesetzt hatte, in der Damenstaffel aus der Wechselzone lief. Mit drei Nachladern und der schnellsten Laufzeit konnte sie Weißrussland seine erste olympische Goldmedaille in der Staffel sichern. Damit steht der Zähler für Domracheva auf vier Goldmedaillen und Medaillen bei drei aufeinanderfolgenden Winterspielen.
Zweite schwedische Überraschung
Die schwedischen Herren hatten die ach-so-neblige Oberhofer Staffel gewonnen, aber das war in dieser Saison auch schon alles. Dann überraschte die „Mannschaft mit dem besten Teamgeist“, so Trainer Wolfgang Pichler, die Biathlon-Experten an einem erneut windigen Abend mit dem ersten olympischen Staffelgold für Schweden - wie zuvor schon Weißrussland. Die einzige Mannschaft ohne Strafrunde brauchte insgesamt gerade einmal sieben Nachlader, während das restliche Feld unglaubliche 203 zusammenschoss. Der Routinier Fredrik Lindström zeigte sich nervenstark beim letzten Stehendschießen, ließ Emil Hegle Svendsen auf der Strafrunde zurück, schnappte sich eine niedliche kleine Schweden-Fahne im Zielkorridor und sorgte für die größte Biathlon-Entmachtung/Sensation der Winterspiele.
Erste schwedische Überraschung
Ein weiteres As im Ärmel der Schweden war die 22-jährige Hanna Oeberg, die im 15 km Einzel der Damen alle großen Favoritinnen in den Schatten stellte und neben 20 Treffern auch noch die sechstschnellste Laufzeit ablieferte. Die IBU Newcomerin des letzten Jahres war selbst ganz überrascht. „Am meisten beeindruckt bin ich von meiner Leistung heute, weil fehlerfreies Schießen nie einfach ist... Ich wusste, dass meine Leistung heute vielleicht gut genug ist für eine Medaille, aber dass ich gewonnen habe, ist einfach unglaublich!“
Arnd, der Sprinter
Natürlich wollen wir auch den ruhigen deutschen Veteranen Arnd Peiffer nicht vergessen, der mit insgesamt neun Siegen auf dem Kerbholz, davon sieben im Sprint, an einem kalten, windigen Abend als bester Sprinter ins Ziel lief und damit Deutschland Doppelgold im Sprint sichern konnte. Peiffer blieb ohne Fehler und war auf der Strecke schnell genug, während die hochgelobten Favoriten Fourcade und Johannes sich drei und vier Strafrunden einhandelten. Peiffer fasste seinen Olympiasieg zusammen: „Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Die anderen beiden waren sowohl auf der Strecke als auch am Schießstand in dieser Saison absolut dominant, also hätte ich nie gedacht, dass jemand an ihnen vorbeikommt, und schon gar nicht ich.“ Hut ab vor Arnd Peiffer!
Gemischte Staffel Bravourstück
Der französische Olympiasieg in der gemischten Staffel war ein echtes Bravourstück. Fourcade übernimmt auf Rang drei, 50 Sekunden hinter Deutschland, Peiffer patzt mit Nachladern und einer Strafrunde, und der französische Star mäht in atemberaubendem Tempo die Scheiben sechs bis zehn nieder. Auf der Strecke ist der französische Großmeister unschlagbar schnell und erstreitet eine weitere Goldmedaille. Ist er in Form, ist Fourcade weiterhin mental und körperlich kaum zu schlagen.
Silber, Bronze und…Emil
Auch jenseits der Olympiasiege durfte sich jeder und jede Mannschaft mit Medaillen im Gepäck als Sieger fühlen. Niemand bekommt eine olympische Medaille geschenkt, was diese Geschichten wieder einmal zeigen. Vor Beginn der Winterspiele hätte allerdings wohl niemand damit gerechnet, dass Silbermedaillen an Marte Olsbu, Michal Krcmar, Sebastian Samuelsson oder die schwedische Damenstaffel gehen würden. Dominik Windisch, Veronika Vitkova und der frisch operierte Dominik Landertinger gewannen Bronzemedaillen. Jakov Fak kehrte an den Ort zurück, an dem er bei der IBU WM 2009 seine erste Medaille gewonnen hatte, Bronze, und sicherte sich mit Silber im 20 km Einzel seine zweite olympische Medaille. Dann war da noch Svendsen, der Bronze im Massenstart gewann und Silber mit der gemischten und der Herrenstaffel. Der erfahrene Norweger ist damit der Biathlet mit den drittmeisten Medaillen in der olympischen Geschichte. Selbst der ansonsten oft eher sarkastische Svendsen zeigte sich gerührt und beeindruckt. „Das ist toll zu wissen, dass ich jetzt der Dritte auf der ewigen Liste der Medaillengewinner bin... was soll ich noch dazu sagen? Danke!“
Mutter Natur und die Enttäuschungen
Mit den Enttäuschungen könnte man vermutlich viele Seiten füllen, doch einige Kandidaten hatten unter Pech und Mutter Natur besonders zu leiden. Der WIND fegte in der ersten Woche und bei den letzten Staffeln brutal durch das Feld und verschonte niemanden. Athleten drehten im Liegendanschlag zu weit oder in die falsche Richtung, warteten endlos im Stehendanschlag, während die Gewehrläufe wie die Windfähnchen hin- und her schlackerten.
Schempp/Fourcade und die Staffeln
Enttäuschung Nummer 1 war das Foto-Finish zwischen Fourcade und Schempp. Einer musste hier verlieren. Es war ein respektabler Zweikampf zwischen guten Freunden und ein harter Schlag für Schempp. Olympisches Silber ist aber immerhin auch ein großer Erfolg. Die zweite bittere Niederlage ereilte die Deutschen in der gemischten Staffel. Laut Wettkampfjury war keine Regel verletzt und keine formelle Beschwerde eingelegt worden. Windisch, Bronzemedaillengewinner im Sprint, entwischte dem schwer enttäuschten Sprint-Olympiasieger Peiffer um Haaresbreite. Die Italiener gewannen zum zweiten Mal Bronze in der gemischten Staffel. Lukas Hofer, der auf stolze 254 Weltcup-Starts zurückblicken kann, sagte: „So nervös wie bei diesem Rennen war ich noch nie!“ Rang 3 geht an die deutsche Damenstaffel, die französische Herrenstaffel und die polnische Damenstaffel zusammen. Für die scheinbar unbezwingbaren und soliden deutschen Damen schien in der Staffel einfach alles schief zu gehen, was schiefgehen konnte. Am Ende reichte es trotz Dahlmeiers beherzter Aufholjagd mit drei Strafrunden und elf Nachladern nur für Platz 8. Die französischen Herren blieben gleich zu Beginn in der Strafrunde hängen und fielen danach immer weiter zurück. Da viele der Rivalen auch zu kämpfen hatten, konnte Fourcade gerade noch einen sicherlich enttäuschenden 5. Platz retten. Polen hat im Biathlon noch nie eine olympische Medaille gewonnen, und beim letzten Wechsel lag die Damenstaffel in Führung. Dann wollten die Scheiben bei Schlussläuferin Weronika Nowakowska aber einfach nicht fallen, und sie verlor den Schlusssprint um Platz sechs gegen die Schweizerin Irene Cadurisch. Für Polen immer noch eine Bestplatzierung, aber trotzdem eine große Enttäuschung für die Staffel.
Es ist Biathlon. Alles ist möglich.Die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang sind vorbei. Glorreiche Siege, große Überraschungen, bittere Tränen: Es war einmal mehr Biathlon in Bestform, und wieder einmal hat sich gezeigt: Es ist Biathlon. Alles ist möglich.