Saisonvorschau: die Männer

Wer dieser Tage spekuliert, welcher Mann wohl die BMW IBU Weltcupsaison 2021/22 dominieren wird, der dürfte schnell bei einem Norweger oder Franzosen landen. Wenn man bedenkt, dass in den Top Ten der Weltcup-Gesamtwertung in der letzten Saison vier Norweger und drei ihrer französischen Rivalen zu finden waren, kann man mit diesem Tipp kaum falsch liegen.

 

Jenseits dieser sieben Athleten hat der Schwede Sebastian Samuelsson eine Chance, die Phalanx zu durchbrechen. So beginnt die neue Saison, mit den Norwegern Johannes Thingnes Boe, Sturla Holm Laegreid, Tarjei Boe und Johannes Dale, die es wieder einmal mit Quentin Fillon Maillet, Emilien Jacquelin und Simon Desthieux aufnehmen und um die Vormachstellung im Biathlon kämpfen. Weiter hinten am Horizont gibt es nur vereinzelte Athleten mit Chancen auf einen Platz im Rampenlicht.

 

Ein wichtiger Faktor bei Männern wie Frauen ist Peking 2022, die Olympischen Winterspiele, dieser alle vier Jahre alles andere in den Schatten stellen. Alle Athletinnen und Athleten sind voll fokussiert auf diese zwei Wochen im Februar, und dürfte manche einer Weltcuprennen auslassen, erst später in der Saison zu Höchstform auflaufen und das vertraute Schreckgespenst der Verletzung/Krankheit noch größer sein als sonst. Dann kann noch der Überraschungsfaktor ins Spiel kommen: Ein Athlet, der unerwartet die Saison seines Lebens abliefert und wieder die alte Biathlonweisheit wahr macht: „Es ist Biathlon. Da ist alles möglich.“

 

Drei Favoriten

Alles scheint auf einen erneuten Dreikampf zwischen Mannschaftskameraden JT Boe und Laegreid und Fillon Maillet um die absolute Biathlon-Dominanz hinauszulaufen. Für JT sprechen seine Routine und Erfahrung, für Laegreid sein unbestreitbares Talent und für Fillon Maillet seine Entschlossenheit.

 

Johannes und Sturla

Boe war in der Saison 2020/21 nicht die dominante Größe. Laegreid konnte ihn mehrfach übertrumpfen und stand siebenmal ganz oben auf dem Treppchen, JT viermal. Schlussendlich ging die große Kristallkugel trotzdem zum dritten Mal in Folge an den Rotschopf. Diesen Titel zu verteidigen wird nicht das oberste Ziel sein, aber - ob er es offen zugibt oder nicht - es ist Teil seines Plans. Auf der Strecke ist und bleibt er der schnellste und gefährlichste Gegner. Auch wenn seine Trefferquote vom „Goldstandard“ 89 % auf 84 % sackte, bleibt er trotz Gewehrtausch mitten in der Saison ein talentierter Schütze. Seine Rückkehr zum alten Waffenaufbau im Sommer kommentierte Trainer Siegfried Mazet gegenüber dem NRK so: „Er ist deutlich ruhiger hinter seiner Waffe.“ Damit sollten seine Probleme am Schießstand gelöst sein, und er dürfte schon früh demonstrieren, dass er immer noch der Mann ist, den es zu schlagen gilt - ohne zu früh alle Trümpfe auszuspielen. Von ihm dürfen wir starke Auftritte bei den Sprints erwarten, wo er wohl seinen 26 bisherigen Sprintsiegen weitere hinzufügen und seine schlichtweg miserable olympische Sprintbilanz (Sochi Platz 54, Pyeongchang Platz 31) aufpolieren wird.

 

Der Stolperstein für JT ist und bleibt der Mann, der ihn schon in der letzten Saison fast geschlagen hat: Sturla Holm Laegreid. Droht ihm vielleicht ein „verflixtes zweites Jahr“? Möglich, aber unwahrscheinlich. Laegreid ist bescheiden, aber selbstsicher, und mit sich selbst im Reinen. Das Mantra der letzten Saison trägt weiter: „Wenn ich einfach mache, was ich gut kann, ist das genug, um meine Ziele zu erreichen. Es geht nicht darum, sich selbst zu übertreffen: Mach, was du gut kannst, mach es gut und du wirst erfolgreich sein.“ Seine Trefferquote sucht ihresgleichen (92 %) und dürfte stabil bleiben. Nachdem er mehrere Saisons pausieren musste, ist das Lauftempo seine Achillesferse. Laegreid glaubt, dass er sich an allen Fronten verbessern kann. „Mein Schießen ist nicht bei 100 %, und ich weiß, dass ich auf der Strecke noch Potential habe. Mein Ziel ist es, das auszubauen, besser zu sein als letzte Saison.“ Jede weitere Verbesserung dürfte bei der Konkurrenz zu ungläubigem Kopfschütteln führen. Neben diesen Verbesserungen hat Laegreid ein ganz einfaches Ziel. „Ich will wirklich unbedingt zu den Winterspielen.“

Quentin: Aufwärtstrend?

Quentin Fillon Maillet will den Norwegern einen Strich durch die Rechnung machen. Nach einem dritten Platz in der Weltcup-Gesamtwertung in den letzten zwei Saisons ist der Sieg weiterhin ein Ziel für ihn, wie er kürzlich der Zeitung L'Est Républicain erklärte: „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich wollte nicht auf Platz eins stehen. Ich könnte sagen, dass ich mich gern auf Platz zwei verbessern möchte, aber es wäre schade, sich damit zufriedenzugeben.“ Peking, sagte er einschränkend, habe natürlich trotzdem Vorrang. In der letzten Saison konnte Fillon Maillet zwei Siege einfahren, stand aber nur fünfmal auf dem Podest im Vergleich zu den zehn Podestplätzen der Vorsaison, ganz abzusehen vom Sprint-Debakel in Oberhof ohne Verfolgung. Ein paar Patzer und zu viel Druck führten dazu, dass Fillon Maillet Federn lassen musste. Um an den Norwegern vorbeizuziehen und eine Einzelmedaille bei den Winterspielen zu gewinnen, muss er seine guten Schießleistungen noch dichter an die 90 % heranbringen, locker bleiben und auf der Strecke das Maximum herausholen.

 

Herausforderer

 

Norweger: Tarjei, Johannes Dale und Vetle

Tarjei, Johannes Dale und Vetle Sjaastad Christiansen machen die Norweger zur Mannschaft mit der größten Tiefe im BMW IBU Weltcup. Tarjei, Vierter in der Weltcup-Gesamtwertung, konnte die Gesamtzahl seiner Sieger in einer seiner konstantesten Saisons auf ein glattes Dutzend erhöhen. Er schießt gut, hat aber manchmal diese schlechten Tage mit fünf oder sechs Fehlern. Er ist ein taktisch cleverer Athlet, der immer noch gut läuft. Peking dürfte sein klares Ziel sein, hat er doch noch nie eine olympische Einzelmedaille gewonnen. Auch wenn er wegen einer Gehirnerschütterung in diesem Herbst eine Weile pausieren musste, ist mit ihm definitiv zu rechnen. In der letzten Saison sagte er: „Wenn man in dem norwegischen Kader ist, der bei Weltmeisterschaften oder olympischen Spielen antritt, ist man meistens ein guter Skiläufer, und dann kommt es aufs Schießen an...“

 

Johannes Dale hat sich in jeder seiner drei Weltcupsaisons kontinuierlich verbessert und in der letzten Saison mit einem Sieg und fünf weiteren Podestplätzen aufgetrumpft. Dale ist durchgehend einer der schnellsten Läufer auf der Strecke. Der Stehendanschlag ist seine Schwäche. Kann er sich dort verbessern, steht weiteren Siegen nichts im Weg.

 

Christiansen gewann jedes Skiroller-Rennen in Norwegen, bei dem er in diesem Herbst gemeldet war. Nicht nur war er schnell unterwegs, auch beim Schießen glänzte er. Christiansen, der Gesamtsieger im IBU Cup 2017/18, hat das Talent, um die drei Top-Athleten herauszufordern, war aber noch nie bei Olympischen Winterspielen dabei und trat in der letzten Saison in Pokljuka nur in Massenstart und Staffel an. Er wird seinen Mannschaftskameraden den ganzen Winter auf den Fersen sein.

 

Samuelsson auf dem Vormarsch

Für Sebastian Samuelsson war die Saison 2020/21 die bislang beste seiner Karriere: Sechster im Gesamtweltcup, erster Weltcupsieg und vier Medaillen bei der IBU WM. Sein Ziel war klar: „Beim Trainingseinstieg in diesem Jahr war ich sehr motiviert zu zeigen, dass ich ein besserer Athlet bin als in der vergangenen Saison.“

Ziel erreicht. Samuelsson verbesserte seine Trefferquote auf 87 %. Mit dem ersten Sieg erkämpfte er sich das nötige Selbstvertrauen, das ihn durch die restliche Saison trug. Mannschaftskamerad Martin Ponsiluoma sagte kürzlich, “Sebastian ist ein richtig guter Schütze, der verfehlt im Training nie.“ Samuelsson ist das Nachwuchstalent, das man im Auge behalten sollte.

 

 

Emilien, der Verfolger

Emilien Jacquelin ist ein seltenes Talent und der Joker unter den Herausforderern. Er schießt wie der Teufel und trifft alle Scheiben, hängt auf der Strecke rasant fast jeden Rivalen ab, aber schießt dabei eben manchmal übers Ziel hinaus: Man denke an den Massenstart bei der IBU WM, fünf Fehler im zweiten Liegendanschlag, das wars...

Trotzdem hat er überzeugend seinen IBU WM-Titel in der Verfolgung verteidigt und in drei weiteren Verfolgern auf dem Podest gestanden. Ein gebrochenes Handgelenk hatte in ihm Herbst vorübergehend außer Gefecht gesetzt, aber davon hat er sich gut erholt. Jacquelin weiß, was es für eine brillante Saison braucht: „Wenn ich in Form und auf der Strecke gut drauf bin, werde ich vermutlich versuchen, ruhiger zu bleiben und konstanter zu sein. In den nächsten Jahren will ich um den Gesamtweltcupsieg mitlaufen ... Ich bin gar kein so schlechter Schütze, etwa bei 87 %, trotz einiger mieser Tage bei den Weltmeisterschaften! Ich will besser werden ... Wenn man an die Spitze will, muss man bei 90 - 92 % liegen“

 

Einzeldisziplinen: Top 3 der Favoriten

 

Sprint

Ist wohl fest in norwegischer Hand. JT ist offensichtlich einer der besten Sprinter aller Zeiten. Laegreid ist ein Knipser am Schießstand, aber nicht so schnell wie sein Mannschaftskamerad. Nummer drei ist Tarjei mit 21 Podestplätzen insgesamt in seiner Karriere, ein herausragender Liegendschütze.

 

Verfolgung

Jacquelin ist mit zwei Weltmeistertiteln der klare Favorit. JT holt Sprint- und Verfolgungssieg gern im Doppel. Laegreid gewann in der letzten Saison drei Verfolger und damit die Verfolgungswertung im Weltcup.

 

Einzel

Laegreid gewann zweimal und wurde einmal Zweiter. Bei 60 Schuss gingen nur zwei daneben. JT ist der amtierende Olympiasieger in dieser Disziplin, kann gut schießen und einen Plan für den Sieg in die Tat umsetzen. Nummer drei ist eine gute Frage ...

 

Massenstart

Tarjei war in der letzten Saison am konstantesten, aber Laegreid wurde IBU Weltmeister, hier ist der jüngere Athlet der Favorit. Fillon Maillet schafft es auf Platz zwei: Er ist ein Meister der Disziplinen mit vier Schießen und holte zwei IBU WM-Medaillen in den letzten zwei Saisons. Für die Konstanz geht Platz drei an Tarjei.

Hinter dieser Elite-Truppe gibt es noch eine Reihe vielversprechender Kandidaten: Lukas Hofer, Alexander Loginov, Martin Ponsiluoma, Routiniers wie Dmytro Pidruchnyi, Jakov Fak, Benedikt Doll, Michal Krcmar und die jungen Wilden wie Emilien Claude und Said Karimulla Khalili. Wenn die ersten Schneeflocken fallen, wird sich zeigen, wer am Ende vorne liegt!

Photos: IBU/Christian Manzoni

 

 

 

 

 

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