In der Gesamtwertung der Frauen liegen nur 42 Punkte zwischen der aktuell führenden Franziska Preuß und der drittplatzierten Elvira Öberg. Dazwischen liegt die Französin Lou Jeanmonnot. Ich gehe davon aus, dass sich dieser fantastische Dreikampf auch in Annecy-Le Grand Bornand fortsetzen wird. Elvira ist die schnellste Läuferin, Franziska hat die größte Erfahrung und Lou ist die kompletteste Athletin. Durch diese drei verschiedenen Charaktere wird die Sache so spannend. Beim Blick auf die Schneeverhältnisse ist es meist so, dass der Untergrund in den Alpen physisch weniger starken Athletinnen und Athleten entgegenkommt und schnellere Laufzeiten ermöglicht. Dadurch ist das Schießen vielleicht noch wichtiger als in Skandinavien. Für Elvira gilt es, in Annecy-Le Grand Bornand noch treffsicherer zu sein als in Hochfilzen, um im Kampf mit Franziska und Lou nicht zurückzufallen.
Julia Simon und Justine Braisaz-Bouchet haben in diesem Winter noch nicht ihr Niveau vom Vorjahr erreicht. Doch ich glaube, dass Julias Formkurve nach oben zeigt und bei den Weltmeisterschaften in Lenzerheide ihren Höhepunkt erreichen könnte. Vielleicht hatte Justine zu große Erwartungen an sich selbst in puncto Gesamtwertung, was sich auf ihr Schießen ausgewirkt hat. Meiner Meinung nach kann sie es in Annecy-Le Grand Bornand entspannt angehen und gute Leistungen zeigen. Beide Athletinnen brauchen wahrscheinlich noch etwas Zeit, um ihren inneren Flow zu finden, ohne sich zu stark auf die Ergebnisse zu fixieren.
Die französischen Männer haben mich beeindruckt, wenngleich ihre Leistungen keine Überraschung für mich sind. Nach den letzten beiden eher durchwachsenen Saisons hat das Team im Sommer alles gründlich analysiert und an den Schwachstellen gearbeitet. Diese Arbeit trägt nun Früchte: Bei den ersten beiden Weltcup-Stationen haben Emilien Jacquelin und Quentin Fillon Maillet zu alter Stärke zurückgefunden. Der junge Eric Perrot zeigt sein viel versprechendes Talent und ist auf dem Weg, einer der weltbesten Biathleten zu werden.
Emilien brauchte etwas Zeit, um zu einem kompletteren Athleten zu reifen, so wie Julia und Justine bei den Frauen. Er hat nun eine Schießtechnik gefunden, die für ihn gut funktioniert. War er früher vor allem für seine Geschwindigkeit bekannt, ist er jetzt auf dem besten Weg zu einem kompletten Champion. Mal schauen, ob er auf konstant hohem Level performen kann und weiterhin zu den schnellsten Läufern im Feld gehört.
Zu Hause vor ausverkauftem Haus gute Leistungen abzuliefern, ist nicht leicht. Auch wenn die Fans für den nötigen Push auf der Strecke sorgen können, kommt es auf eine gute Renneinteilung an. Die Strecke in Annecy-Le Grand Bornand mit langen Anstiegen und Abfahrten liegt Jacquelin eigentlich. Er ist explosiv, kann angriffslustig starten und sich dann in der Abfahrt erholen. Im Gegensatz zu Hochfilzen wartet in Annecy-Le Grand Bornand in der Anfahrt zum Schießstand eine lange Bergab-Passage. Das hilft, den Puls vor dem Schießen runterzufahren.
Dann ist da noch Johannes Thingnes Bø. Er mag Annecy-Le Grand Bornand, wo er immer gute Leistungen abgerufen hat, und er reist auch in diesem Jahr in einer guten Verfassung an. Seine Formkurve zeigt nach oben, was seine Leistungen in Hochfilzen unterstrichen haben. Ich glaube, wir dürfen uns auf spannende Duelle zwischen Johannes und Emilien freuen.
Noch ein Wort zur neuen Startreihenfolge, die keine Auswirkungen auf die Ergebnisse zu haben scheint. Ich finde es spannend, dass die Top-Leute in der gleichen Startgruppe in der Mitte des Wettkampfs starten. Aus Kommentatorensicht ergibt sich nur eine neue Herausforderung: Wir müssen die Live-Daten von Siwidata genau im Blick behalten, um über die Rennentwicklung informieren zu können. Doch das macht Spaß.