Die Biathlonwelt ist in Lenzerheide Zeuge eines beachtlichen Durchbruchs geworden: Campbell Wright sicherte sich zwei Silbermedaillen und deklarierte sich damit zu einem der aufgehenden Sterne am Biathlonhimmel. Kam es überraschend? Zu einem gewissen Grad. Vor der BMW IBU Weltmeisterschaft wussten wir bereits um seine stete Entwicklung und sein Potential. Doch ihn auf dem Treppchen zu sehen, war ein aufregender Moment. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass er derzeit der Führende der U23-Kategorie ist und bereits in Kontiolahti knapp an der Top 6 vorbeischrammte. Es gab also genügend Vorzeichen.
Zu den bemerkenswertesten Aspekten von Campbells Leistung zählt sein einzigartiger Laufstil – entspannt, aber furchtlos. Die Art, wie Athleten ein Rennen angehen, spielt eine entscheidende Rolle bei ihrem Erfolg. Wright scheint ein entspannter, unbekümmerter Typ zu sein, aber er ist äußerst professionell und lässt sich gut trainieren. Er widmet sich voll und ganz seiner Entwicklung und innerhalb des US-Teams haben wir daran gearbeitet, einige Aspekte seines Rennstils zu verfeinern, während wir im Auge behalten, dass er noch relativ am Anfang seiner Karriere steht. Wright wuchs in Neuseeland auf und hat daher eine andere Sicht auf den Biathlonsport als Athleten aus traditionellen Biathlonländern. Seine ersten Skiversuche machte er als Kind in Snowfarm in Neuseeland und verliebte sich in den Sport. Schon früh absolvierte er Rennen in Italien, z. B. beim Italian Cup, und erkannte dabei sein Potential. Abseits der Rennen genießt er es, Teil der Biathlonfamilie zu sein. Freundschaften spielen eine wichtige Rolle für sein Glück und seine Motivation.
Wrights Aufstieg spiegelt einen Trend im Sport wider. Während Johannes Thingnes Boe weiterhin dominiert, konnte kein anderer Norweger eine Medaille in Lenzerheide gewinnen. Das bringt die Frage auf: Sind wir Zeugen einer Veränderung des Kräfteverhältnisses im Biathlonsport? Es ist ein gutes Zeichen für den Sport und für die Entwicklungsprogramme der Internationalen Biathlon Union, dass die norwegischen Herren nicht unantastbar sind. Doch Nationen wie Norwegen, Frankreich, Schweden und Deutschland verfügen noch immer über größere Talentpools. Das verschafft ihnen einen Vorteil, zumindest in den kurzfristig angelegten Kämpfen um die Gesamtwertung. Auf dem Treppchen stehen nun öfter auch Athleten aus „kleineren“ Biathlonnationen – darunter auch Wright – aber es braucht noch ein paar Saisons, bis sie den Titel in der Gesamtwertung angreifen können.
Ein weiterer aufregender Moment in Lenzerheide war Tommaso Giacomels Silbermedaille im Einzel. Eine wirklich stolze Leistung für Italien. Seine Stärken als Athlet waren lange sichtbar, aber sein Selbstvertrauen ist seit seinem Massenstartsieg in Ruhpolding in die Höhe geschossen. Dieses neue Selbstvertrauen gepaart mit seinem Talent macht ihn zu einem ernstzunehmenden Kandidaten für die große Kristallkugel in den kommenden Jahren. Ich bin selbst Italiener und habe mich über seinen Erfolg sehr gefreut. Unser Team hat sich den Italienern sogar für eine kleine Feier im Wachstruck angeschlossen.
Bei den Damen ist die Dominanz der Französinnen beeindruckend. Vier Einzelmedaillen zu gewinnen, ist kein Zufall. Ihre Lauftechnik und ihr sauberes, ruhiges Schießen machen sie im Moment zur stärksten Damenmannschaft. Ein Kompliment an die französischen Trainer!
Was den Massenstart angeht: Lou Jeanmonnot hat sich während der Weltmeisterschaft stetig verbessert und ist für mich die Hauptfavoritin. In den früheren Rennen hatte sie mit immensem Druck zu kämpfen, doch nun ist sie bereit für einen starken letzten Wettkampf. Bei den Herren wird Eric Perrot Johannes Thingnes Boe wohl erneut herausfordern. Es wird bestimmt ein spannender Abschluss für diese Weltmeisterschaft.