Der Kampf um den Gesamtweltcup ist voll entbrannt – und als ehemaliger Sieger und vierfacher Zweiter weiß ich genau, was das bedeutet. Wer den Gesamtweltcup gewinnen möchte, darf eigentlich kein Rennen auslassen und muss die gesamte Saison über konstant gute Leistungen abrufen. Zudem darfst du dir weder Krankheit noch Erschöpfung oder ein Formtief leisten. Denn mit jeder Schwächephase kann die Konkurrenz an dir vorbeiziehen. Natürlich gehört auch ein Quäntchen Glück dazu, doch letztlich gewinnt die Athletin bzw. der Athlet mit der größten Kraft, Ausdauer und Anpassungsfähigkeit den Titel. Die mentale Seite ist dabei genauso wichtig wie die körperliche. Absoluter Fokus und der Umgang mit Druck können am Ende einer langen Saison den entscheidenden Unterschied zwischen erstem und zweitem Platz ausmachen.
Nach den Rennen von Nové Město trennen Johannes Thinges Bø und Sturla Holm Lægreid lediglich fünf Zähler. Das verspricht ein extrem enges Saisonfinale zu werden. Beide Athleten haben sich wahrscheinlich mehr erhofft – Lægreid hatte mit seiner Laufform zu kämpfen und war körperlich nicht in absoluter Topform. JT hingegen hat trotz seiner gewohnten Dominanz in der Loipe zu viele Scheiben verfehlt. Da nur noch wenige Wettkämpfe anstehen, kommt es auf jedes einzelne Resultat an. Mit Blick auf den Punktestand in der Einzel- und in der Massenstartwertung könnte Lægreid in Pokljuka einen Vorteil haben – vor allem, wenn er weiterhin gut trifft. Allerdings ist es keine leichte Aufgabe, JT Bø hinterherzujagen. Gelingt es Sturla aber, besser als Johannes zu schießen und dem besten Läufer auf den Fersen zu bleiben, hat er eine Chance, das Pendel zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen. Das heißt aber auch: Er muss Rennen gewinnen.
Bei den Frauen liegen aktuell 36 Punkte zwischen Franziska Preuß und Lou Jeanmonnot, wobei die Französin deutlich aufgeholt hat. Demgegenüber hat Preuß nach den Weltmeisterschaften unerwartete läuferische Schwächen gezeigt, sodass Jeanmonnot den Abstand in Nové Město verringern konnte. Außerdem ist die Französin körperlich in besserer Verfassung. Dabei hatte sie die große Chance, aus Franziskas Formtief noch mehr Kapital zu schlagen, konnte diese Gelegenheit aber nicht voll nutzen.
Die Strecken in Pokljuka könnten ebenfalls das Zünglein an der Waage spielen. Sie sind körperlich sehr anspruchsvoll, erfordern viel Ausdauer und zudem eine gute Renneinteilung. Gleichzeitig ist der Schießstand aber auch etwas einfacher als andernorts, was zu einer hohen Trefferquote führen könnte. Nach ihrer jüngsten Schwächephase wird Preuß fest entschlossen sein, sich mit einer starken Performance zurückzumelden. Mit einer starken Woche in Slowenien könnte sie die Kontrolle im Titelrennen wieder zurückerlangen. Dennoch dürfte es bis zum letzten Rennen sehr eng bleiben.
Die U23-Wertung bleibt eine der spannendsten Entscheidungen der gesamten Saison. Gleich mehrere aufstrebende Biathletinnen kämpfen um das Blaue Trikot. Als Norweger drücke ich natürlich meiner Landsfrau Maren Kirkeeide die Daumen. Sie könnte die Nachwuchswertung noch immer für sich entscheiden, wenngleich es bei nur noch zwei ausstehenden Stationen ein schwieriges Unterfangen wird. Mit ihren gerade einmal 22 Jahren hat sie mit ihrem Rennansatz bereits eine bemerkenswerte Reife an den Tag gelegt. Ihre größte Stärke ist das Stehendschießen, das in engen Wettkämpfen oftmals ausschlaggebend ist und Maren in Zukunft noch viele große Siege einbringen könnte.