Der Champion, der nicht antritt – Oksana Masters gibt eine Vorschau auf die Para-Biathlon-WM

Mit fünf paralympischen Medaillen ist sie eine der Größten im Para-Biathlon. Bei den Weltmeisterschaften in Prince George letztes Jahr holte sie einen kompletten Medaillensatz – Gold, Silber und Bronze. Leider kann Oksana Masters aus gesundheitlichen Gründen ihre Titel in Pokljuka nicht verteidigen. Ihr Erfolgshunger ist jedoch ungebrochen, und sie hat sich bereits zum Ziel gesetzt, im nächsten Jahr zu den Paralympics zurückzukehren.

Wenige Tage vor der allerersten IBU-Para-Biathlon-Weltmeisterschaft, an der 90 Athleten aus 16 Ländern teilnehmen werden, haben wir Oksana Masters um ihre Expertenmeinung gebeten. Sie verriet uns, wer ihrer Meinung nach Chancen auf eine Medaille hat, und erzählte uns von ihrem Genesungsprozess.

Biathlonworld: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinen unglaublichen Leistungen bei den Paralympischen Spielen in Paris. Neun paralympische Goldmedaillen sind eine außergewöhnliche Leistung, aber bist du immer noch hungrig nach mehr?

Oksana Masters: Oh, auf jeden Fall! Ich bin definitiv immer noch hungrig nach mehr. Ich bin noch nicht zufrieden – mein Ziel ist es, mindestens zehn Goldmedaillen zu gewinnen. Es wäre schön, eine zweistellige Zahl neben meinen Titeln zu sehen.

BW: Du bist eine der stärksten Abwesenden in dieser Saison. Kannst du uns sagen, wie es zu deiner Verletzung kam, wie deine Genesung verläuft und ob es eine Chance gibt, dass wir dich noch vor Ende der Saison wieder in einem Wettkampf sehen?

OM: Das war eine unglaublich harte Saison. Ich habe bereits die Weltmeisterschaften 2023 verpasst, und nun kann ich auch dieses Jahr nicht dabei sein. Alles begann nur zwei Wochen nach Beginn meines Wintertrainings, als ich im November vom Para-Radfahren zum Para-Biathlon und -Skilanglauf wechselte. Ich bekam eine Infektion und ging zur Behandlung in ein Krankenhaus in Canmore. Leider verschlimmerte das dort angewandte Verfahren die Situation, und über Nacht verschlechterte sich mein Zustand. Mein Bein färbte sich schwarz, und ich musste in ein Krankenhaus in Salt Lake City geflogen werden, wo ich Antibiotika bekam und mich Eingriffen unterzog, damit die Infektion nicht auf den Knochen übergreifen würde. Mein Bein musste vor allem unversehrt bleiben, damit ich auch in Zukunft eine Prothese würde verwenden können. Ursprünglich wurde mir gesagt, dass die Genesung sechs Wochen dauern würde, aber es traten Komplikationen auf, und jetzt ist schon viel mehr Zeit verstrichen. Ich werde sowohl die Weltmeisterschaft als auch das Weltcup-Finale verpassen, weil ich immer noch nicht in meinen Sitzski passe und mein Bein nicht richtig anschnallen kann. Es gibt immer noch eine starke Schwellung und innere Blutungen. Es ist besonders hart, mit dem Team hier in Slowenien zu sein, aber nicht antreten zu können. Ich werde von der Seitenlinie aus zuschauen müssen, anstatt meine Titel aus Prince George zu verteidigen. Es bricht mir das Herz, vor allem, weil ich hier schon einmal gerudert bin und ich gerne auch als Biathletin an den Start gegangen wäre. Ich habe alle BMW-IBU-Weltcup-Rennen während meines Hallentrainings verfolgt, und zu wissen, dass der Para-Biathlon jetzt an denselben Orten stattfindet, ist ein großer Schritt nach vorne. Ich werde diesen Kampf verpassen, aber mein Fokus liegt jetzt auf einem starken Comeback für die Paralympischen Spiele. Das Wichtigste für mich ist, gesund und mental stark zu bleiben.

BW: Die Saison ist in vollem Gange, die Wettkämpfe in Vuokatti und Val di Fiemme liegen hinter uns und die Para-Biathlon-Weltmeisterschaften in Pokljuka stehen vor der Tür. Trotz deiner Abwesenheit war die Kategorie der sitzenden Frauen hart umkämpft und fünf verschiedenen Athletinnen standen bisher auf dem Podest. Kendall Gretsch bleibt jedoch die herausragende Athletin, die alle drei Rennen gewonnen hat. Glaubst du, dass ihr jemand die Vorherrschaft streitig machen kann?

OM: Um ehrlich zu sein, wahrscheinlich nicht. Kendall ist eine unglaubliche Athletin, und im Biathlon ist sie überragend. Wenn sie jemand herausfordern kann, dann Anja Wicker aus Deutschland, würde ich sagen. Sie ist eine fantastische Biathletin mit jahrelanger Erfahrung und vielen Erfolgen. Aber Kendall wird auch in dieser Kategorie schwer zu schlagen sein.

BW: Bei den Männern wirst du sicherlich deinem Lebenspartner Aaron Pike die Daumen drücken. Wir wissen, dass er sich von seiner Krankheit erholt hat – was sind deine Erwartungen an ihn? Wer sind deiner Meinung nach seine größten Konkurrenten?

OM: Ich würde mich freuen, wenn Aaron seinen Erfolg der Weltmeisterschaften 2023 wiederholen könnte. Leider hat er in dieser Saison einige Rennen verpasst und sich nicht optimal vorbereitet. Mein Traumpodest wären Aaron Pike, Scott Meenagh aus Großbritannien und der Kanadier Derek Zaplotnisky. Sie sind alle gute Freunde, und ich würde mich freuen, wenn dieses Trio die Medaillen holen würde. Aber es wird ein harter Kampf, vor allem, wenn Taras Rad aus der Ukraine antritt – er ist ein unglaublicher Athlet. Es macht mich stolz, Ukrainerin zu sein und Aaron neben Taras auf dem Podest zu sehen, denn die beiden haben viel Respekt voreinander. Das Feld der Männer ist stark besetzt und hart umkämpft, wir werden also einige spannende Rennen erleben.

BW: Verfolgst du die Ergebnisse bei den stehenden und sehbehinderten Athletinnen und Athleten? Hat dich jemand von ihnen besonders beeindruckt?

OM: Ich erwarte einen großen Wettkampf zwischen Brittany Hudak und ihrer Teamkollegin Natalie Wilkie in der Kategorie der stehenden Frauen. Iryna Bui und Oleksandra Kononova aus der Ukraine werden ebenfalls starke Medaillenanwärterinnen sein. Ich persönlich hoffe, dass meine Teamkollegin Danielle Aravich erfolgreich ist und ihre erste Biathlon-Einzelmedaille gewinnt. Sie hat viel gearbeitet und sich darauf konzentriert. Da wir viel in Canmore trainieren, beobachte ich auch das kanadische Team. Mark Arendz und Benjamin Daviet sind meine Top-Favoriten in der Kategorie der stehenden Männer. Ich feuere auch immer Grygorii Vovchynskyi aus der Ukraine an und hoffe, dass er ein tolles Rennen hinlegt. In der Kategorie der Sehbehinderten hat mich die Carina Edlingers Leistung in Val di Fiemme beeindruckt, und ich bin gespannt, wie sie daran anknüpft. Das ukrainische Männerteam ist in dieser Kategorie sehr stark, daher würde es mich nicht überraschen, ein komplett ukrainisches Podest zu sehen. Und natürlich muss ich die Chinesen erwähnen – sie haben ein großes Budget, starke Athleten und jede Menge Ressourcen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Header iconExperts Corner: Oksana Masters

BW: Leider hattest du noch nicht die Gelegenheit, an dem Ort anzutreten, an dem nächstes Jahr die paralympischen Biathlonwettkämpfe ausgetragen werden, aber konntest du dort schon trainieren? Wenn ja, was sind deine Eindrücke von der Strecke und ihren Herausforderungen?

OM: Es ist enttäuschend, dass ich dieses Jahr nicht an den Wettkämpfen dort teilnehmen konnte, aber ich bin letztes Jahr in Val di Fiemme Ski gefahren und habe dort trainiert. Der Schießstand ist knifflig – manchmal fühlt sich der Wind stärker an, als die Flaggen anzeigen, da muss man aufpassen. Ich weiß, dass sie einige Streckenänderungen planen, also bin ich in dieser Hinsicht in der gleichen Position wie alle anderen. Ganz egoistisch hoffe ich, dass sie mehr Steigungen und technische Abschnitte in die Langlaufstrecke einbauen, denn das Stadion ist relativ flach. Ich bin auch gespannt darauf, was sie mit den Zuschauern machen. Ich liebe den Abschnitt, wo man an den Häusern entlangfährt und die Leute von ihren Balkonen aus jubeln. Ich habe von meinen Teamkollegen gehört, dass die Atmosphäre unglaublich gewesen sei. Hoffentlich haben wir nächstes Jahr mehr Schnee. Und es gibt eine Pizzeria direkt an der Strecke – ich weiß jetzt schon, dass ich dort nach meinen Rennen essen werde!

BW: Das ist die erste Saison, die vollständig von der IBU geregelt wird, und der Para-Biathlon-Kalender umfasst jetzt 11 Rennen in vier Disziplinen – eine deutliche Verbesserung gegenüber dem letzten Jahr. Siehst du das als Neuanfang für die Disziplin und als Schritt zu mehr Anerkennung?

OM: Auf jeden Fall! Dies ist ein dringend benötigter Neuanfang für den Para-Biathlon. Die IBU hat sich immer dafür eingesetzt, die Biathlon-Familie zu vergrößern und kleineren Ländern mit weniger Ressourcen eine Chance zu geben, sich zu messen und ihre Programme zu entwickeln. Jetzt tut sie das Gleiche für den Para-Biathlon, und deshalb bin ich so gespannt, was die Zukunft noch so für unseren Sport bereithält. Am meisten freut mich, dass die nächste Generation von Para-Biathleten sich in diesem Sport einbezogen, gesehen und gleichermaßen unterstützt fühlen wird – das gab es nicht, als ich anfing. Damals waren wir so gut wie auf uns allein gestellt. Nun, da wir Weltklasse-Austragungsorte haben und vollständig ins IBU-System integriert sind, sieht die Zukunft rosig aus. Ich habe nie offiziell gesagt, dass ich in den Ruhestand gehe, aber wenn dieser Tag kommt, weiß ich, dass es schwer sein wird, denn der Para-Biathlon ist endlich da, wo er hingehört. Fotos: Vanzetta/IBU

Teile die News!

Header iconAbonniere unseren Newsletter