Ihr Mann Sverre, ehemals norwegischer IBU-Trainer und seit vergangenem Frühjahr Cheftrainer der deutschen Frauen, ist ihr größter Unterstützer: "Das war eine große Chance für ihn. Als sie ihn fragten, war er ein bisschen unsicher, weil er Norweger ist und die Norwegerinnen trainieren wollte. Aber das war die deutsche A-Auswahl. Ich sagte: 'Du musst den Job annehmen. So eine Chance bekommst du vielleicht nie wieder. Alles andere findet sich.' Es wird seltsam sein, aber wir lieben es, gegeneinander anzutreten! Das ist wirklich einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, weiterzumachen. Ich möchte in Oberhof unbedingt gegen ihn kämpfen! Ich frage mich, was passieren wird, wenn ich mit einer der Deutschen (um eine Medaille) kämpfe ..."
Obwohl die beiden auf unterschiedlichen Seiten stehen, reden sie zu Hause trotzdem über "Geschäftliches" und führen dabei ein normales Familienleben. "Zunächst versuchen wir, einfach nur Mann und Frau zu sein, das ist das Wichtigste. Ich frage nicht viel nach den anderen Frauen; er fragt vielleicht mehr nach meinem Arbeitstag als ich nach seinem. Er hilft mir immer noch ein bisschen beim Training, aber wir versuchen, eine normale Beziehung zu führen... An einem perfekten freien Tag unternehme ich mit dem, den ich liebe, an einem sonnigen Tag etwas, das nichts mit Biathlon zu tun hat. Was zählt ist, mit wem man zusammen ist, nicht, was man macht.“
Wenn sie auf die vergangene Saison mit fünf olympischen Medaillen, siebzehn Podestplätzen, zwei kleinen Kristallkugeln und dem Weltcupsieg zurückblickt, ist sie genauso erstaunt wie alle anderen: "Es ist unglaublich... Ich hatte große Träume, aber die Saison war noch besser, als ich es mir vorstellen konnte. Mein Hauptziel waren die Olympischen Spiele; ich war so fokussiert; es war ein großer Erfolg. Aber dann kam der Weltcup, und den konnte ich auch noch gewinnen. Ich bin sehr glücklich, dass ich beides im selben Jahr geschafft habe. Ich war etwas überrascht, aber wirklich glücklich!"
In einem Jahr der Superlative sticht ein Moment besonders hervor: "Der olympische Sprint, denn das war mein Hauptziel. Mir ist ein perfektes Rennen gelungen. Es war das beste, das ich je hatte. Es war so schön, dass das bei den Olympischen Spielen genau so geklappt hat wie geplant, denn normalerweise wird das nie was! Sowas passiert vielleicht nur einmal im Leben.“
Nach dem Scheitern in der vorigen Saison war der Weltcupsieg besonders befriedigend: "Ich habe so viel aus dem letzten Jahr (2020/21) gelernt; in jener Saison sind eine Menge Fehler passiert. Ich habe über diese Fehler nachgedacht und überlegt, was ich besser machen kann. Ich glaube ohne diese Saison wäre die folgende nicht so gelaufen."
Die große Kristallkugel in Oslo krönte ihr Jahr: "Das war etwas ganz Besonderes. Es war der perfekte Moment, um mit meinen Freunden und meiner Familie zu feiern, und das mit fast 32 Jahren!"
Mit Blick auf die neue Saison hat die 31-Jährige nach einem nicht ganz so perfekten Sommer mit verpasstem Training neue Ziele: "Oberhof ist eine neue Chance. Was ich bei den Olympischen Spielen gemacht habe, spielt keine Rolle. So ist das im Sport: Man erreicht ein Ziel und macht weiter."
Olsbu Røiselands besondere Saison hatte ihren Preis: Erschöpft und krank startete sie nur langsam in ihr Trainingsjahr: "Ich war sehr erschöpft und bekam auch Covid. Es war wirklich hart mit zwei verrückten Covid-Jahren, Isolation und allem. Nach meiner Traumsaison war es nicht so einfach, wieder anzufangen."
"Deshalb bin ich auch nicht so gut in Form. Ich habe angefangen, wie früher Zeit mit Familie, Freunden und Sponsoren zu verbringen. Alles ist normal. Es ist schön, dieses Leben wieder zu haben, aber für das körperliche (Training) ist es hart. Bis zur Saison sind es noch einige Monate, und ich hoffe, dass ich besser werde. Körperlich lief es in Blink nicht so gut, aber ich brauchte diesen Test, auch für meinen Kopf. Mein Wettkampfhirn war im Urlaub. Ich brauche das wie ein Art Auslöser, um da hinzukommen, wo ich hin will.“
Nach der Rückkehr zur Normalität bekam die Olympiasiegerin nach ihrer spektakulären Saison auch mehr Anfragen von Menschen, die Zeit mit ihr verbringen wollen: "Viele Jahre lang war ich ein 'Nein'-Mensch, aber dieses Jahr bin ich tatsächlich ein 'Ja'-Mensch geworden. Ich habe mich dazu entschieden. All die anderen Jahre stand das Training an erster Stelle. Dieses Jahr war es ein bisschen anders. Ich hatte das Gefühl, dass ich das Leben auch genießen muss, und habe mehr als je zuvor Ja gesagt. Wenn es eine Zeit gibt, um das zu genießen, dann jetzt. Das könnte natürlich auch meine Form erklären!"
Präzises und schnelles Schießen und schnelle letzte Runden sind für Olsbu Røiseland zum Standard geworden, den sie in der letzten Saison nochmals gesteigert hat: "Im Gegensatz zum vorigen Jahr bin ich in jedes Rennen mit der Einstellung gegangen, anzugreifen. Jeder kann gut schießen, aber der mentale Aspekt ist der Knackpunkt – woran man denkt, wenn man schießt. Ich hatte eine bessere Einstellung. Ich habe in jedem Wettkampf versucht, zu gewinnen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Das war mein Geheimnis (zum Erfolg). Viele Leute haben mir dabei geholfen: mein Mann natürlich, Patrik (Oberegger), der so entspannt ist, mein Personal Trainer und auch mein Mentaltrainer, der mir geholfen hat, meine Gedanken zu ordnen."
Der mehrfachen Olympia-Goldmedaillengewinnerin ist bewusst, wie wichtig ein Mentaltrainer ist: "Viele Leute denken, dass man einen Mentaltrainer braucht, weil man mentale Probleme hat, aber das ist nicht der Fall. Es geht darum, sich auf die einfachen Dinge im Sport zu konzentrieren, auf die wichtigen Dinge. Man muss bei jedem Wettkampf etwas lernen. Das hat mir sehr geholfen, zu lernen, so zu denken. Früher musste ich jeden schlechten Wettkampf vergessen. Jetzt tue ich das nie; ich nehme nur etwas mit, das ich beim nächsten Mal besser machen kann."
Was die schlimmen letzten Runden angeht: "Man muss sich mental darauf vorbereiten. Man darf sich nicht selbst bemitleiden, denn es ist schmerzhaft, es tut sehr weh. Man muss einfach an etwas anderes denken. Auch hier hat das Mentaltraining sehr geholfen."
Olsbu Røiselands unzählige Medaillen, Trophäen und Titel kamen nicht von ungefähr. Sie arbeitete mehrere Saisons hart im IBU-Cup und schaffte es gelegentlich auf das Podest, bevor sie sich Anfang 2014 einen festen Platz im norwegischen Weltcup-Team sicherte. "Man fragt sich immer, ob man auf dem Podest landen wird. Als ich jünger war, war ich sehr schlecht. Da ich erst spät mit Biathlon angefangen habe, habe ich früh gelernt, dass man sich nicht mit den anderen messen muss, sondern mit sich selbst. Das ist immer mein Ziel: besser zu sein als im letzten Jahr."
Im Hinblick auf die bevorstehende IBU-WM fügte sie hinzu: "Man muss gut vorbereitet sein. Die Strecke ist schwierig, es ist windig und neblig. Ich denke, die Härtesten werden gewinnen. Man muss einfach sein Bestes geben. Ich hoffe, dass das Wetter gut wird, aber ein nebliger, regnerischer Herbst wäre eine gute Vorbereitung auf Oberhof!"
Was die Herausforderungen und Lektionen angeht, die sie zur Olympiasiegerin und Weltmeisterin gemacht haben, und die Wendungen in ihrem Leben auf dem Weg dorthin, beschreibt Marte Olsbu Røiseland sich nach einigem Zögern selbstbewusst als "glücklich, sehr fokussiert, aber ein bisschen stur".
Es wird niemanden überraschen, wenn sie im kommenden Februar im verschneiten Oberhof auf dem Podest steht.
Fotos: IBU/ Christian Manzoni, Marte Olsbu Roeiseland, Jerry Kokesh