Biathlonworld: Wie stark sind Sie seit unserem letzten Interview 2022 durch die beiden vergangenen Saisons als Biathletin gewachsen?
Selina Grotian: Es war am Anfang sehr hart. Ich dachte, der Übergang zum Weltcup würde einfacher werden. Die Konkurrenz ist unglaublich stark und die Saison ist auch mental eine Herausforderung. Das Trainingspensum ist hoch und für den Körper äußerst anstrengend. Aber ich konnte mich anpassen und jetzt fühle ich, dass ich im Weltcup angekommen bin. Einer der größten Unterschiede zum IBU Cup ist, dass man ein perfektes Rennen – mit sauberem Schießen und schneller Laufzeit – braucht, um ganz vorn zu landen. Die Athleten im Weltcup haben ein derart hohes Niveau und da läuferisch mitzuhalten ist sehr anstrengend.
BW: Würden Sie sagen, dass sie als Biathletin auch mental gewachsen sind und Erfahrung gesammelt haben?
SG: Ich war schon immer ein ruhiger Mensch, das hat sich nicht geändert. Aber ich habe gelernt, mehr auf meinen Körper zu hören. Ich weiß jetzt, wann ich mich zurücknehmen muss, und ich habe viel Erfahrung in Bezug auf meine mentale Gesundheit gesammelt. Das war nicht immer leicht, aber in den vergangenen zwei Jahren habe ich verstanden, was mein Körper braucht und wie ich mich angemessen um ihn kümmere.
BW: Was war bisher der schwierigste Moment Ihrer Karriere und wie haben Sie ihn überstanden?
SG: Es war schwer, als ich letzte Saison zurück in den IBU Cup geschickt wurde. Als ich davon erfuhr, war ich sehr enttäuscht. Doch ich konnte die negativen Gedanken schnell hinter mir lassen. Es war letztendlich die richtige Entscheidung, denn ich bin stärker in den Weltcup zurückgekehrt. Mein vierter Platz bei der Weltmeisterschaft später in der Saison hat das bewiesen. Eine weitere Herausforderung war meine Ernährung. Ich habe den Fehler gemacht, zu viele Kohlenhydrate wegzulassen, was sich negativ auf meinen Körper ausgewirkt hat. Ich war immer hungrig und hatte kaum Energie. Daraus habe ich gelernt, wie wichtig es ist, gut zu essen. Diese Erfahrung hat mir sehr geholfen.
BW: Gibt es ein bestimmtes Rennen oder einen Erfolg aus dieser Saison, auf den Sie besonders stolz sind?
SG: Ich habe zwei Highlights: Zu Saisonende die Silbermedaille mit der Mixed-Staffel zu gewinnen, war eine unglaubliche Erfahrung. Das hätte ich nie erwartet. Und natürlich mein erster Weltcupsieg in Le Grand-Bornand. Das war ein verrückter Moment. Am Anfang hat es sich so irreal angefühlt. Die meisten meiner Teamkollegen waren nicht mehr da und die Atmosphäre war ziemlich ruhig. Ich konnte es also gar nicht gleich verarbeiten. Aufgrund des starken Schneefalls war ich nur erleichtert, als das Rennen zu Ende war. Aber rückblickend war es ein fantastischer Erfolg und ich bin sehr stolz darauf.
BW: Wie beschreiben Sie als Kernmitglied der deutschen Mannschaft den Teamgeist zwischen den erfahrenen und jungen Athleten?
SG: Unsere Mannschaft hat eine tolle Mischung aus erfahrenen und jungen Athleten. Franzi hat so viel Wissen und immer eine Idee, wie man sich weiter verbessern kann. Sie ist sehr involviert und hilft dabei, das Team zu führen. Die jungen Athleten bringen frischen Wind und eine entspannte Energie mit, die alles ausbalanciert. Das ist ein toller Mix und wir treiben uns gegenseitig an, immer besser zu werden.
BW: Vor uns liegt die olympische Saison. Was sind Ihre Hauptziele für das nächste Jahr und gibt es etwas, das Sie verbessern wollen?
SG: Vor den Olympischen Spielen gibt es noch einiges zu verbessern, vor allem beim Schießen. Ich werde mir eine neue Waffe zulegen und daran arbeiten, dass ich im Liegendanschlag stabiler und effizienter werde. Mein Hauptziel ist es, mich für Olympia zu qualifizieren. Davon träume ich, seit ich Kind war. Wenn ich das schaffe, werde ich überglücklich sein.
BW: Woraus verleiht Ihnen neben dem Biathlonsport Motivation und Ausgeglichenheit?
SG: Nach Hause zu kommen, motiviert mich. Ich liebe meine Heimatstadt, meine Wohnung, Kochen und Zeit mit meiner Familie und meinem Hund zu bringen. Durch diese kleinen Dinge kann ich meinen Akku wieder aufladen und bleibe während der Saison auf dem Boden.
Fotos: IBU Photopool