Die zwei Brüder aus Stryn bleiben wegen der vielen Siege in Erinnerung, aber auch wegen ihres außergewöhnlichen Talents und ihre menschlichen Qualitäten, für die Fans wie Rivalen sie zu schätzen wussten. Den Biathlonsport haben sie ebenso sehr geprägt wie ihr legendärer ehemaliger Mannschaftskamerad Ole Einar Björndalen.
Zwei Jahre nachdem Tarjei bei den IBU-Juniorenweltmeisterschaften zweimal Bronze gewonnen hatte, nahm er zum ersten und einzigen Mal eine große Kristallkugel für den Sieg in der Weltcup-Gesamtwertung entgegen. Johannes brauchte etwas länger für seine erste große Kristallkugel und arbeitete sich am siebenfachen Sieger Martin Fourcade ab, bis er 2019 den ersten von insgesamt fünf Titeln gewann.
Bei seinem Sieg 2011 orakelte Tarjei noch: „Das ist vielleicht die beste Saison meiner Karriere. Ich bin erst 22 Jahre alt. Selbst wenn ich noch 10 oder 15 Jahre weitermache, das ist vielleicht nie wieder zu schaffen.“ Und weiter: „Ich habe einen Bruder, der kann schon jetzt (mit 17) Sachen, die ich damals noch nicht konnte, der ist so viel talentierter als ich.“
Über die Jahre stand Tarjei krankheits- und verletzungsbedingt viel seltener auf dem Podest (149-mal bei 365 Starts), als er es mit seinem Talent verdient gehabt hätte. JT schaffte es auf unbeschreibliche 221 Podestplätze bei 408 Starts und knackte den Rekord der meisten Einzelsiege (91) obendrein. Zum Vergleich: Björndalen schaffte 257 bei 580 Starts und nur wenigen Mixed-Staffeln-Chancen, Fourcade 186 bei 347. Dass eine Familie 370-mal auf dem Podest vertreten ist, wird sich möglicherweise so nie wiederholen.
Tarjei war der erste Vertreter einer Generation der Schnellschützen, mit gnadenloser Treffsicherheit im Liegendanschlag und oft atemberaubenden Schnellfeuereinlagen im Stehen, wenn auch nicht immer ohne Strafrunden. Johannes legte die Latte noch mal deutlich höher. Fourcade hatte langsames Schießen und die Aufholjagd auf der Strecke perfektioniert, JT mähte die Scheiben im Stehendschießen schneller nieder, als man gucken konnte und lief einfach immer schnell.
Trainer Siegfried Mazet fasste es so zusammen: „Das Naturtalent am Schießstand ist ohne Frage Johannes Thinges Bö. Es gab einen Moment in seiner Karriere, da hatte Johannes mehrere Monate nicht an der Waffe trainiert und hat sich bei mir dafür entschuldigt, dass er nicht geschossen hat. Und am ersten Tag im Trainingslager hat man es nicht mal gemerkt. Er war so gut, einfach ein Naturtalent.“
Auf der Strecke ist und bleibt Johannes Thinges Bö eine Liga für sich, drückte vom Start weg aufs Tempo und ließ das Feld stehen, was ihm viele Start-Ziel-Siege einbrachte. In der Saison 2022/23, in der er alle Sprints gewann, schoss er in Hochfilzen aus dem Starthäuschen wie ein Champagnerkorken, ballerte alle Scheiben nieder und führte die Wertung von Anfang bis Ende an. Im Verfolger am nächsten Tag ging es gleich so weiter. Er startete mit 43 Sekunden Vorsprung, war trotz zweier Strafrunden nicht einzuholen und gewann mit 47 Sekunden Vorsprung. Seine Kombination aus Konstanz, irrsinnigen Laufzeiten, Start-Ziel-Siegen, Sprint-Verfolgungs-Doppelsiegen und Weltcup-Hattricks sucht ihresgleichen.
Am meisten bleiben die beiden wohl wegen ihrer charismatischen Art in Erinnerung. Die meisten ihrer Vorgänger betrieben den Sport mit großem Ernst, ausgenommen vielleicht Björn Ferry, doch dann kam der 88er-Jahrgang mit Tarjei, Fourcade und Simon Schempp. Plötzlich wurde nach den Rennen gescherzt und gealbert. Jedes Bödium, jede Pressekonferenz mit Bö-Beteiligung war voller humorvoller Momente, oft weil die Brüder sich gegenseitig aufzogen oder auch mal Fourcade und die Mannschaftskameraden aufs Korn nahmen. An dem Tag, an dem JT seine erste große Kristallkugel gewann, belegten die Brüder Platz 1 und 2 im Verfolger von Oslo. Der frischgebackene Gesamtsieger erklärte, er habe seine erfolgreiche Biathlon-Karriere Tarjei zu verdanken. Sie waren nun das erste Bruderpaar, was die Gesamtwertung gewonnen hatte, und Johannes fand: „Das zu schaffen, was mein Vorbild Tarjei vorgelebt hat, ist ein gutes Gefühl.“ Tarjei gab zurück: „Ja, langsam bereue ich das!“ Weiter sagte er: „Er war ein ziemlich guter Fußballer, aber meine Eltern fanden den Sport albern und sagten, Biathlon könne er noch besser. ... Ich glaube, er ist zufrieden mit der Entscheidung. ... Und im Fußball würde er auf der Bank sitzen!“
Klar ist, dass der große Einfluss der Bö-Brüder den Sport auf viele Jahre hinaus geprägt hat. Sie waren talentiert, charismatisch und immer für einen Spaß zu haben.
Schon 2011 erkannte Tarjei, worauf es ankommt, wenn man erfolgreich sein will. „Der einfachste Weg, das gelbe Trikot zu erobern, ist Rennen zu gewinnen. Das ist alles, was ich machen muss!“
Fotos: IBU/Archive, Manzoni, Nordic Focus